Aus den Reihen der Wirtschaft, aber nicht nur von dort, kommt seit jeher Widerspruch zu den Vorschlägen eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger. Das sei nicht zu finanzieren, heißt es. Und es lähme den Arbeitswillen. Die Corona-Krise ändert allerdings die Perspektive in dem Maße, in dem nun die Wirtschaft selber und insbesondere viele mittelständische und kleinere Unternehmen von Subventionen des Staates in erheblicher Größenordnung profitieren sollen. Ist die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens, das Sozialhilfe und andere Versorgungsleistungen des Staates ersetzen würde sowie möglicherweise doch Anreize für Hinzuverdienst schafft, wirklich so absurd?
Die Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Magdalena Holztrattner, sieht in einer derartigen finanziellen Zuwendung für alle durchaus eine Möglichkeit, die aktuelle ökonomische Krise für „substanzielle Veränderungen“ zu nutzen, um das gesamte Wirtschaftssystem stärker auf ökologisches und sozial nachhaltiges Produzieren und Konsumieren hinzubewegen. Zudem zeige sich mehr und mehr, dass in einer hochgradig durchrationalisierten ökonomischen Ordnung „soziale Sicherheit nicht an Erwerbsarbeit geknüpft bleiben darf“. Die Aussage „Nur wer arbeitet, darf auch essen“ sei ethisch fragwürdig geworden, da neben der Erwerbsarbeit sehr viel mehr sonstige Arbeit, etwa sozial-fürsorglicher Art, für das Wohl des Gemeinwesens geleistet wird. Zudem fällt frühere Erwerbsarbeit mit klassischen Berufen in der digitalen Hochleistungswirtschaft vielfach weg, weil nicht mehr benötigt.
Es ist „erstrebenswert, wenn Menschen frei zwischen verschiedenen Tätigkeiten wählen können, ohne sich und ihre Familie in finanzieller Not, sozialer Stigmatisierung, psychischem Druck und damit verbunden gesundheitlichen Problemen wiederzufinden“, so Magdalena Holztrattner. „Jeder Mensch soll ein würdiges Leben führen dürfen, egal, welche Vorleistungen er oder sie erbracht hat.“ Mit Sozialromantik oder „sozialen Hängematten“ habe das nichts zu tun. Das beweise bereits das hohe Engagement im – meist unbezahlten – Gesundheits- und Pflegebereich etwa in den Familien oder unter Nachbarn und Bekannten. Zur Finanzierbarkeit des Grundeinkommens in einer Phase, da zur Bewältigung der Corona-Krise Zigmilliarden aufgebracht werden müssen, sagte Magdalena Holztrattner: „Wenn zusammengezählt wird, dass zum Beispiel staatliche Transferzahlungen wie Kindergeld, Sozialhilfe, Karenzgeld usw. ins bedingungslose Grundeinkommen einfließen würden, würde sich ein großer Teil der Kosten selbst decken.“ Außerdem würden große Summen eingespart durch den Wegfall des dazugehörenden bürokratischen Aufwands, auch wenn die dafür zuständigen Beamten beziehungsweise Angestellten umgeschult werden müssten.
Ein wachsendes Problem der gegenwärtigen Kultur sei auch, dass es immer schwieriger ist, einzig durch Erwerbsarbeit, durch Löhne sozial aufzusteigen oder gar wohlhabend zu werden, weil inzwischen durch die ungeheure Konzentration von Vermögen das Einkommen über Erwerbsarbeit gegenüber den Kapitalerträgen immer mehr ins Hintertreffen gelangt. „Hier bräuchte es ein Gegensteuern, sodass sich Leistung wieder mehr lohnt.“
Clemens Wallner von der österreichischen Industriellenvereinigung sieht die Grundeinkommens-Vorschläge allerdings skeptisch: Zuwendungen in einem Sozialstaat sollten einzig an Bedingungen wie Bedürftigkeit oder Arbeitsfähigkeit geknüpft sein. Der Sozialstaat solle fürsorgen und vor-sorgen, nicht aber versorgen.