Selbst unter Christen herrscht Unklarheit über ihre Spiritualität und deren Mitte. Erst recht steht die Gestalt Jesu eigentümlich fremd und unbekannt in der geistigen und geistlichen Landschaft. Deshalb ist es ebenso mutig wie hilfreich, gerade diesen Glutkern des Christlichen einladend in den Mittelpunkt zu stellen – zwecks Unterscheidung der Geister und um eines wirklichen Dialoges willen.
Man könnte dies auch entlang der Gottesfrage tun oder das Bekenntnis zum Heiligen Geist als Leitfaden der Glaubensgeschichte wählen. Und auch im Blick auf Jesus, den Christus, gäbe es unterschiedliche Zugänge. Der österreichische Theologe Christoph Benke, Fachmann in Spiritualität und höchst erfahren in Seelsorge und Begleitung, konzentriert sich konsequent auf die schon biblisch zentrale Perspektive der Nachfolge. Meisterlich gelingt es ihm, den immensen Stoff aus immerhin 2000 Jahren Christentum in vier Blöcken – Alte Kirche, Mittelalter, Moderne, Gegenwart – zu verdichten und unter der Überschrift „Gegenwart“ deren aktuellen Ertrag zu akzentuieren. Dabei wird in jedem der Abschnitte die Ahnengalerie von Nachfolgerinnen und Nachfolgern Jesu damals ergänzt durch ein Porträt aus jüngster Zeit, um die gegenwärtige Bedeutung aller zu unterstreichen. Bei den Kirchenvätern und Mönchen der Frühzeit erscheint so zum Beispiel der ermordete Prior der Trappistenmönche des algerischen Klosters Tibhirine, bekannt geworden durch den an den realen Geschehnissen orientierten Spielfilm „Von Menschen und Göttern“. Ähnlich gesellen sich zu den großen Lehr- und Lebensmeister(innen) des Mittelalters wie Bernhard und Franziskus ein Thomas Merton sowie geistliche Gemeinschaften von heute. Und dann geht es bis zu Dietrich Bonhoeffer und Simone Weil, bis zu Ruth Pfau und vielen anderen mehr.
Aber nicht nur solche Kurzporträts, jeweils mit typischen Originaltexten, sind anregend, es ist vor allem auch die ebenso behutsame wie genaue Gedankenführung im Ganzen. In der Vielfalt der Lebensgeschichten und Glaubensstile, in den Brechungen zwischen den Epochen und Zeiten kommt facettenreich immer neu das Leitthema zur Sprache: Wie geht Christsein grundsätzlich und konkret? Was heißt Nachfolge hier und jetzt für Einzelne und für das Gelingen des Ganzen? Die zahlreichen Zwischenüberschriften und Zusammenfassungen, optisch abgesetzt, helfen stets zur Orientierung und motivieren zur Vertiefung. Zahlreiche farbige Abbildungen tragen das Ihre bei zu einer einladenden Darstellung, die zuverlässig Orientierung gibt und in Komposition und Akzentsetzung neue Lichter aufsetzt.
Eine kostbare Konsequenz dieses anregenden Durchgangs durch die Glaubensgeschichte steht schon an seinem Beginn. Ein junger Prior aus Erfurt, sein Name ist Meister Eckhart, brachte sie auf den Punkt: „Christus hat viele Werke getan in der Meinung, dass wir ihm geistig und nicht leiblich nachfolgen sollen; denn er hat es mehr abgesehen auf unsere Liebe als auf unsere Werke. Wir sollen ihm je auf eigene Weise nachfolgen“ – und ihn eben nicht nachahmen wollen. Der Weg der Nachfolge Jesu ist also ein Befreiungsweg hin zur Wahrheit und Fülle des Lebens, des eigenen und des ganzen. Mitläufertum und bloßes Nachlaufen wären das genaue Gegenteil. Und: Wer sich heute auf den Weg macht „Ihm nach“, fängt nicht bei null an: welcher Reichtum an schon gelungener Geschichte! Welche Maßstäbe zur Unterscheidung sich daraus ergeben, verdichtet Benke treffend auf wenigen Seiten zum Schluss. Kein Nachwort, es geht ja um Nachfolge. Und die ist ein Tatwort.