Mystik im AlltagArme Schweine

Massentierhaltung, Lohndumping, Ausbeutung – und jetzt ein Corona-Ausbruch: Unter unserem Hunger nach Billigfleisch leiden Mensch und Tier.

Jeder hat die Bilder vor Augen, längst ist der Skandal offenkundig: der verrückte Hunger nach Billigfleisch, Lohndumping und Ausbeutung ausländischer Arbeiter, Massentierhaltung mit hektischer Mästung, Verseuchung von Wasser und Erde durch Gülle. Dazu kommt mangelnde Transparenz, Verschleppung notwendiger Veränderungen, massiver Einfluss der Fleisch-Lobby. Dazwischen: meine Wenigkeit, der Kunde und Konsument, der mitspielt. Ob Veganerin oder Fleischfresser – keiner kann sich das Thema mehr vom Leib halten, Corona sei Dank. „Arme Schweine“ – eine traurige Schicksalsgemeinschaft zwischen den bis zum Tode dauergestressten Tieren und den ausgebeuteten Sklaven aus Rumänien und Bulgarien! Aus dem tierischen Hausfreund des Bauern und dem geschätzten Fleischlieferanten ist das industrielle Geschäftsobjekt geworden, das man gnadenlos verwurstet – samt denen, die es verarbeiten.

Dabei begleitet das Schwein den Menschen freundlich und nahrhaft spätestens seit der Sesshaftwerdung im Neolithikum, treuer Gefährte des agrarischen Erdbestellers. Gewiss: Von früh an gibt es den Vorwurf der Unreinheit, bis heute, ursprünglich wohl aus realhygienischen Gründen. „Schwein“ wird gleichgesetzt mit Dreck und Sauerei. Aber noch die Rede vom Glücksschwein erinnert an den Lebenszuwachs dank dieser rosaroten Mitgeschöpfe: ursprünglich wohl als Trostpreis gedacht bei großen Festen. Ein einziges Ferkel verspricht immerhin Nachkommen, Wohlstand und Nahrung – weit mehr als nichts. Deshalb noch der Glücksbringer zu Neujahr. Längst sollte sich zudem herumgesprochen haben, dass Schweine zu den besonders intelligenten Tieren gehören und uns Menschen genetisch mehr verwandt sind, als manche sich eingestehen.

Viel von dieser Wertschätzung ist in den Religionen bewahrt, in ihrer realen und symbolischen Würdigung der Tiere. Biblisch steht die Vision vom universalen Tierfrieden im Mittelpunkt: Paradiesisch ausgemalt, soll er überall wirklich werden. „Nichts soll der Mensch unrein nennen“, bekommt deshalb Petrus zu hören, der nicht zu den „dreckigen“ Heiden gehen will. So erzählt Lukas den Durchbruch zur „Heidenkirche“ (Apg 10f.). Dreimal wird dem Petrus da geboten, „unreines Zeug“ zu essen, wozu gewiss Schweinisches gehört – eine Ungeheuerlichkeit für einen frommen Juden. Er muss sozusagen das Schwein in sich erspüren, um den „dreckigen Anderen“ neben sich als gleichwürdig anzuerkennen. Nur so wird Schöpfungsfrieden hergestellt, nur so hört Ausbeutung auf. Und dann gibt es keine armen Schweine mehr, weder Tiere noch Menschen. Wer jedenfalls Gott als Schöpfer ehrt, wird die Würde auch der Tiere sehen und hochschätzen.

In der christlichen Frömmigkeit wird deshalb der Wüstenvater Antonius mit dem Schwein dargestellt: Er ist der gottgemäße Mensch, der die Sau herausgelassen hat und nun mit sich und allem versöhnt ist und versöhnen kann. Das Schwein gehört zu ihm, sie leben zusammen, er zeigt sich damit wie mit einem Gütezeichen. So kann er für andere zum Helfer werden. Auf die Frage im Religionsunterricht, was mit „Lamm Gottes“ gemeint sein könnte, antwortete ein Zehnjähriger: „Ich weiß, was das heißt: Armes Schwein.“ Man kann von Glück sprechen, dass es diesen Jesus von Nazareth gibt. Man darf fortan keinen Menschen erniedrigen und „schweinisch“ behandeln, und Tier und Natur auch nicht.

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