Nach den Bänden zur Geschichte und zur Theologie widmet sich der dritte Teil des von Peter Zimmerling herausgegebenen „Handbuchs Evangelische Spiritualität“ der Praxis. Kirche und Gemeinde, Gottesdienst und liturgisches Leben, Gebet und Bibellesen, Seelsorge und Begleitung, Lebenswelt und Bildung: Unter diesen Überschriften finden sich Aufsätze verschiedener Autorinnen und Autoren zu zahlreichen Unterthemen. Da kommen etwa Hauskreise und Kirchentage in den Blick, Kasualien und Kirchenmusik, Tagzeitengebet und Herrnhuter Losungen, Beichte und Spiritual Care, Familie und Akademie als Orte und Ausdrucksweisen evangelischer Spiritualität.
Das Handbuch eignet sich gut als Nachschlagewerk. Fast alle Bereiche kirchlichen Lebens werden auf Spiritualität hin durchbuchstabiert. Eher theoretische Ausführungen unterstützen die eigene Reflexion kirchlichen Handelns unter spiritueller Perspektive. So skizziert Christian Lehnert („Herab. Hinauf“) den evangelischen Gottesdienst als spirituelle Bewegung. Daneben finden sich auch viele praktische Hinweise. Ein Kapitel enthält gar ein Rezept zur Herstellung von Salböl.
Die Rechtfertigung des sündigen Menschen allein aus göttlicher Gnade und Glauben: Dieser reformatorische Impuls dient als Leitmotiv. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Martin Luther der mit Abstand am häufigsten zitierte Theologe ist. Dietrich Bonhoeffer folgt auf Platz zwei, wird dem Personenregister zufolge jedoch nicht halb so oft genannt. Daran lässt sich der eher historisierende Zugang festmachen.
Vor dem Hintergrund, dass es bislang wenig Literatur zu diesem Thema gibt, ist es gut, dass dieses Handbuch erschienen ist. Allerdings trägt die konfessionelle Profilierung letztlich nicht allzu weit. Es scheint gerade hier doch mehr Verbindendes als Trennendes zwischen den Konfessionen zu geben. Eine evangelische Theologie und eine damit verbundene Spiritualität über Luther hinaus, zum Beispiel repräsentiert durch Paul Tillich, findet nur sehr selten Erwähnung. Evangelische Initiativen mit großer Ausstrahlung sind die Hamburger „Kirche der Stille“ oder auch die Vesperkirchen als spirituell-diakonische Projekte, die inzwischen oft auch ökumenisch verantwortet werden. Solche Initiativen finden sich in diesem Handbuch kaum. Auch wäre eine stärkere pastoralpsychologische Ausrichtung wünschenswert, weil Spiritualität doch auch viele Schnittmengen mit therapeutischen Einsichten und Ansätzen aufweist.
Ungeachtet dieser Kritikpunkte gilt: Ein zukunftsfähiges Christentum bedarf einer lebendigen Spiritualität. Diese immer wieder zum Thema zu machen, ist notwendig für den erforderlichen Bewusstseins- und auch Gestaltwandel der Kirchen.