Der Moraltheologe Karl-Wilhelm Merks nutzte die Jahre seines kreativen Ruhestands, um einer breiteren Leserschaft die Erträge seiner langjährigen Lehrtätigkeit an der niederländischen Universität Hilburg vorzulegen. Das umfangreiche Werk bietet weitaus mehr, als von einem Lehrbuch der Fundamentalethik zu erwarten wäre. Denn der Autor erläutert seine Überlegungen zu den philosophischen und theologischen Grundlagen der Ethik anhand aktueller wissenschaftlicher, gesellschaftlicher oder auch innerkirchlicher Bezüge, die seine Analysen konkretisieren und in längeren Exkursen verdeutlichen. Auf diese Weise ist ein Kompendium gegenwärtiger theologischer Ethik entstanden, das einen weiten Spannungsbogen durchschreitet und dem Leser die wichtigsten Themen und Thesen erschließt, die in der jüngeren Geschichte des Faches kontrovers diskutiert wurden.
Als Leser merkt man sofort, dass der Autor mit Leib und Seele Moraltheologe sein möchte. Er stellt sich selbst und seinen Entwurf einer Fundamentalethik in den Kontext der Erneuerung der christlichen Ethik, die unter dem Stichwort einer autonomen Moral im Horizont des christlichen Glaubens vorangetrieben und gegen den anfänglichen Widerstand des Lehramts in der akademischen Theologie durchgesetzt wurde. Näherhin wählt der Autor die autonome Moral Alfons Auers als Ausgangspunkt, um sie auf der Linie seines Lehrers Franz Böckle zu einer Moral der Autonomie weiterzuentwickeln. Dabei geht es ihm, indem er die zentralen Stichworte der Moderne – Autonomie, Freiheit, Verantwortung und Selbstbestimmung – aufgreift, immer darum, das denkerische Potenzial der eigenen Tradition so mit dem zeitgenössischen Ethik-Diskurs zu verknüpfen, dass überraschende Parallelen hervortreten, aber auch kritische Rückbezüge auf die Einseitigkeiten bestimmter Traditionssegmente (etwa der neu-thomistischen Handbuch-Moral im 19. Jahrhundert) zur Sprache kommen. Auf diese Weise entsteht auf mustergültige, gut nachvollziehbare Weise ein Gespräch zwischen der Theologie und den säkularen Wissenschaften, die der Ethik einen weiten befreienden Horizont eröffnen. Dabei klingt immer wieder das Anliegen an, die Freiheitskultur der Moderne ernstzunehmen und gerade deshalb darauf zu bestehen, dass eine anspruchsvolle, ihres Auftrags bewusste Verantwortungsethik von subjektiver Willkür und Beliebigkeit grundverschieden ist.