Schon der Untertitel kann als Provokation gelesen werden. Der evangelische Theologe Ralf Frisch sucht in seinem Buch über das Markusevangelium das Zwiegespräch „mit dem Mann, der Jesus erfand“. Als wäre Jesus eine literarische Kunstfigur! Tatsächlich zieht der Autor sehr unerschrocken Parallelen zwischen den Wundergeschichten der Bibel und den Fantasy-Epen unserer Zeit, zitiert mit dem gleichen heiligen Ernst aus „Star Wars“ oder Tolkiens „Herr der Ringe“ wie aus den Paulusbriefen. Dabei wundert er sich immer wieder, warum ihn die modernen Mythen oft mehr ansprechen – „auch wenn ich mich als Theologe und Kirchenmann ein wenig dafür schäme“.
Als entscheidenden Unterschied macht Frisch das Ende der Geschichte aus. Während die Fantasyhelden magische Ringe zerstören, Todessterne sprengen und das Böse damit heldenhaft besiegen, erlebt die Jesus-Geschichte mit der Kreuzigung einen Bruch, der auch nach zweitausend Jahren nur irritieren kann. „Es wäre mir lieber, es hätte dieses Kreuz nicht gegeben, und es müsste in keinem Wort der Welt und in keinem Wort meines Evangeliums von diesem Kreuz die Rede sein“, lässt Frisch seinen Markus sagen.
Dabei wird schnell klar, dass dieser Evangelist, den sich der Autor als Gesprächspartner an die Seite schreibt, weniger eine historische Annäherung an den tatsächlichen Urheber des ältesten Evangeliums ist als vielmehr ein Alter Ego, um die eigenen Gedanken aus anderer Perspektive zu sehen. „In meinem Kopf verbinden sich seine Worte mit meinen Worten und seine Gedanken mit meinen Gedanken. Ich höre ihn und zugleich mich selbst“, schreibt Frisch an einer Stelle bedeutungsvoll. Gleichzeitig ist dieser Markus ein Sprachrohr, durch das sich Theorien und Ideen in Worte fassen lassen, die Frisch als Theologieprofessor und Referent der bayerischen Landessynode ohne dieses Hilfsmittel vielleicht nicht aussprechen würde. So kann er seiner Fantasie freien Lauf lassen und sich seitenlang in abenteuerliche Theorien hineinsteigern: Was wäre, wenn Jesus nicht der Held seiner Geschichte, kein Messias, sondern nur ein besonders erfolgreicher Trickbetrüger und Sektenführer gewesen wäre? Und ist das Christentum heute nicht in der gleichen Situation wie das Judentum vor zweitausend Jahren, „weil es vor allem an erhobene Zeigefinger und an die Möglichkeit der Errettung durch Verbote glaubt und im Übrigen mit der Verwaltung, Erhaltung und Existenzsicherung seiner selbst beschäftigt ist“?
Die Gedankenspiele enden meist recht abrupt, ganz so, als wäre der Autor selbst erschrocken, wohin ihn seine Überlegungen getragen haben. Aber sie sind erfrischend ehrlich und geben Bedenken wieder, die viele moderne Christen haben – und das oft ohne theologisch-dogmatische Musterlösungen. Wer sich davon nicht abschrecken lässt und bereit ist, sich eigene Gedanken zu machen, wird das Buch mit Gewinn lesen.