Bei den inzwischen abgesagten Oberammergauer Passionsspielen wollte Spielleiter Christian Stückl „seinen“ Jesus erstmals mit Stoff aus den Gleichnissen noch farbiger und näher am Leben zeichnen. Wie richtig Stückl damit lag, macht das Buch „Die vierzig Gleichnisse Jesu“ des Neutestamentlers Gerhard Lohfink deutlich. Zeigt es doch, wie sehr die Leser bei den Gleichnissen dem Urgestein der Jesusüberlieferung nahekommen. Mit ihnen sind sie dem Herrn und seiner Botschaft thematisch und sprachlich so nahe wie nur möglich.
Gerhard Lohfink macht das mit seiner stilistisch sehr gut lesbaren und gehaltvollen Analyse für ein interessiertes Publikum nachvollziehbar. Dosiert entfaltet er exegetische Details der Form- und Traditionsgeschichte und wirft einen spannenden Blick in die Auslegungsgeschichte. An einigen alttestamentlichen Gleichnissen zeigt er auf, wie Gleichnisse funktionieren: Eine fesselnd erzählte Geschichte (Das Lied vom Weinberg, Jes 5,1–7) schlägt urplötzlich um und konfrontiert die Zuhörer mit dem Willen Gottes.
Für jedes der vierzig neutestamentlichen Gleichnisse bietet Lohfink eine differenzierte Auslegung. Dabei warnt er, Gleichnisse nur auf einen einzigen springenden Punkt hin zu deuten. Die vielen unterschiedlichen Kontexte, Bildwelten und thematischen Stoffe würden so übersehen. Die Gleichnisse sind Weltliteratur, von großem Formenreichtum, einer gut abgeschätzten Erzählökonomie und auffälliger Konkretheit. All das macht sie nahezu unausschöpflich.
Zentrales Motiv aller Gleichnisse ist das Bild des Vaters und die Reich-Gottes-Botschaft. Deshalb ist etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samariter auch nicht in einem universalen Hilfsethos aufzulösen. Nur in der Verankerung mit der Reich-Gottes-Verkündigung hat es Sinn. Steht es doch in Gestalt Jesu für die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe. Nicht anders kann das Volk Gottes Licht der Welt, Salz der Erde sein.
Jesus rechtfertigt sich mit der Barmherzigkeit Gottes, er macht sie als das „Gleichnis Gottes“ präsent. Es ist wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn: Folgt der ältere Sohn am Ende der Einladung des Vaters ins Haus zum Fest der Rückkehr seines Bruders, oder bleibt er draußen und besteht unerbittlich auf dem Vergeltungsrecht? Jesus lässt das offen. Das Angebot ist somit über das Gleichnis hinaus an die Zuhörer, an uns Leser gerichtet. Vollziehen wir als der Sohn jene „Achsendrehung“ (Romano Guardini), die Glauben heißt?