Die Corona-Masseninfektion im nordrhein-westfälischen Schlachtbetrieb Tönnies hat in Deutschland eine Debatte über die Arbeitsbedingungen der häufig bulgarischen und rumänischen Arbeitskräfte in der Fleischindustrie ausgelöst. Der bulgarische Politologe Ivan Krastev erklärte in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“, dass die Corona-Krise nur überstanden werden kann, wenn „alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen geschützt werden, also in Deutschland auch die Arbeiter aus Rumänien und Bulgarien“. Dennoch glaubt er nicht, dass die momentanen schlechten Arbeits- und Lebensverhältnisse eine negative Auswirkung auf das Verhältnis zwischen Ost- und Westeuropa haben werden. „Wenn Sie an die niedrigen Löhne bei uns denken, verstehen Sie, dass ein Arbeitsplatz in Westeuropa für unsere Arbeiter einen sozialen Aufstieg bedeutet.“
Ein viel größeres Problem sieht Krastev darin, dass viele junge bulgarische Ärztinnen und Krankenpfleger in Deutschland arbeiten. Dadurch überaltere das bulgarische Gesundheitssystem, was sich besonders in der Anfangsphase der Pandemie negativ ausgewirkt habe. Deshalb hält Krastev es für wichtig, „über ein gemeinsames europäisches Gesundheitssystem nachzudenken. Sonst entscheiden die Ärzte und Schwestern selbst weiterhin, wo sie arbeiten wollen.“