Um seine Leser in die jeweilige Thematik der Großkapitel einzuführen, beginnt der Tübinger Kirchenhistoriker Andreas Holzem seine Analyse mit beispielhaften Episoden. So verdeutlicht er etwa am Schicksal des Kuriendiplomaten Giovanni Morone (1509–1580), dem führenden Kardinal des Konzils von Trient und Angeklagten in einem Inquisitionsprozess, die Folgen der konfessionellen Verwerfungen und Bekenntnispolitik nach der Reformation. Der prominente Vertreter des Reformkatholizismus schmorte im Gefängnis der Engelsburg und stand unter dem Verdacht, er vertrete eine Rechtfertigungslehre ad mentem lutheranorum, nach Art der Lutheraner also. Als Papst Paul IV. starb, wurde Morone, der Inquisition und Index ablehnte, von dessen Nachfolger, dem Medici-Papst Pius IV., rehabilitiert. <
Besonders interessant sind die Ausführungen über die „Katholische Reformspiritualität“, die Holzem an Ignatius von Loyala, Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz und Carlo Borromeo aufzeigt. Auch die „Lutherische Bekenntnisbildung und Orthodoxie“ kommen nicht zu kurz. Der Autor fasst zusammen: „In allen Konfessionen, keineswegs nur in einer, setzte sich … die Überzeugung fest, der klärenden Reformation der Lehre müsse die disziplinierende Reformation des Lebens zur Seite treten. Zum Prozess der Konfessionalisierung gehörte ein gewaltiges Projekt der Verchristlichung. Weil nicht nur die Liturgie und Verkündigung der Kirchen, nicht nur das Gewissen des Einzelnen, sondern die ganze Gesellschaft und alle ihre kulturellen Lebensäußerungen überformt werden sollten, glaubten geistliche und weltliche Amtsträger kompromisslos streng sein zu müssen.“
Wie sich diese Härte auf die christliche Lebenswelt auswirkte, ist Thema eines eigenen Kapitels. Unter dem Stichwort „Krisen der Konfessionalisierung“ geht Holzem nicht nur auf die Religionskriege ein, sondern auch auf die Hexenverfolgungen „als europäisches Phänomen der Neuzeit“. Sie seien „Krisen der Staatsbildung“ gewesen, im Sinn „der Befassung des Staates mit seiner Religionshoheit“. Die Krisen unterbrachen zwar die Konfessionalisierung, beendeten sie aber nicht. Allerdings änderten sie die Richtung „von der äußerlichen Absicherung und Strukturierung zur (je relativen und gestuften) Verinnerlichung“. Nach Holzem gelten für die Gewaltausbrüche zwei Regeln: Je direkter der (angebliche) Wille Gottes erkannt und für sich in Anspruch genommen wurde, desto mehr „drängte religiöses Wissen zur Gewalt“. Dieser bedrückenden Folgerung setzt der Autor den Schlusssatz seines fünften Kapitels entgegen: „Es ist der rätselhaft-verborgene und der barmherzig-verzeihende Gott, der zum Frieden drängt.“
Mehr als Kirchengeschichte
Band 2 geht über den „(ohnehin nicht klaren) Zeithorizont“ der Konfessionalisierungsforschung hinaus. „Den Pietismus, die Aufklärung, die Sattelzeit der revolutionären Umbrüche und die Auffächerung des religiösen Spektrums in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ bezieht Holzem ein, um „eine Fernwirkung des Prozesses der Konfessionalisierung auf die Konstitutionsbedingungen der Moderne“ festzustellen und zu analysieren.
Bewundernswert ist die Weite der Darstellung. Der Verfasser beschränkt sich keineswegs auf Deutschland und – im ersten Teil – auf Rom und Italien. Wie das Ortsregister mit seinen zahlreichen Eintragungen zeigt, blickt Holzem auch immer wieder auf England, Frankreich, die Niederlande, Polen, Schweiz und Ungarn. In Deutschland dienen ihm selbst kleinste Orte wie Böddecken, Lauffen oder Polling zur Illustration. Das Sachregister von fast hundert Seiten belegt, dass der Historiker die ganze Breite seines Faches vertritt, sich also keineswegs auf die Kirchengeschichte beschränkt. Die Sozialgeschichte kommt mit Begriffen wie Elite, Familie und Gewalt zu ihrem Recht, auch das Thema Wirtschaft hat zahlreiche Untertitel. Der Bildungsforscher wird Wissenschafts- und Universitätsgeschichte nachschlagen. Zur Mentalitätsgeschichte kann man Erfahrung, Geist und Vernunft rechnen, unter die Mikrohistorie Einträge wie Bier oder Vagabund.
In einem Schlussakkord bringt Holzem seine Diagnose auf den Punkt: „Mit dieser Wirkungsgeschichte war die Konfessionalisierung der Vormoderne eine Bedingung der Religionsgeschichte der Moderne.“ Nach dem wissenschaftlichen Fazit gibt der Autor seinen Lesern noch eine Beobachtung mit auf den Weg, die ihm als „befremdliche Asymmetrie“ erscheint: „Von der Konfessionalisierung bis in die Modernisierung sind die Spuren der religiösen Furcht, die Emotionen der Bedrängnis oft klarer greifbar als die Zeichen des Vertrauens und der gottgewissen Gelassenheit. Zwischen Bedrohungsängsten und Identitätssicherungen bleibt letzten Endes undurchschaubar, was die erfahrene ‚Wirklichkeit‘ dieser vielen Lebensweisen des Christlichen war.“ Über die Spielarten der Angst als eines Motors der Konfessionalisierung ist sicher weiter nachzudenken. Der noch junge wissenschaftliche Ansatz der Emotionsforschung, der den Einfluss von Gefühlen auf politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen analysiert, mag dem Phänomen der Konfessionalisierung und ihrer Nachwirkungen weitere Einsichten entlocken.
Die Darstellung des langen Kampfs um den rechten Glauben, um die Wahrheit, der Tod und Leid über die Menschen aller Konfessionen gebracht hat und an vielen Orten bis heute mit anderen Mitteln weitergeführt wird, beschließt Andreas Holzem mit der Kirchenlehrerin Teresa von Avila: Nada te turbe … sólo Dios basta – Nichts soll dich ängstigen … Gott allein genügt. Die demütige Erkenntnis ist ein Vermächtnis an alle, die um den Glauben ringen.