Ein Teil der Saat fiel auf den mit Asphalt versiegelten Boden. Beim nächsten Regenguss wurde sie weggespült und verschwand in der Kanalisation. Ein anderer Teil fiel auf überdüngten und übersäuerten Boden. Viele Bodenlebewesen waren dort abgestorben, viele Nährstoffe ausgewaschen. Nur ein Teil der Saat ging auf, und alle Pflanzen blieben kümmerlich. Ein weiterer Teil der Saat fiel auf einen mit industriellen Altlasten verseuchten Boden. Die Pflanzen wuchsen auf, enthielten aber eine dermaßen hohe Konzentration von Schadstoffen, dass sie ungenießbar waren und weggeworfen werden mussten.“
So oder so ähnlich könnte es klingen, wenn man das bekannte Gleichnis vom Sämann (Fassung bei Matthäus: Kapitel 13, Verse 1–9 und 18–23) in die Gegenwart hinein verlängern würde. Schon Jesus greift das Alltagswissen seiner Zeit vom Zusammenhang zwischen Bodenqualität und Ertrag auf. Das heutige Wissen ist unermesslich größer und wissenschaftlich abgesichert, aber das heißt nicht, dass wir mit unseren Böden sehr bewusst umgehen. Ganz im Gegenteil, wir behandeln sie oft „wie den letzten Dreck“. Jedenfalls wissen wir heute, dass ein guter Boden nicht einfach da ist, sondern dass er geschont, gepflegt und erhalten werden muss und dass wir verantwortlich sind für den Boden, der uns ernährt. Fachleute gehen davon aus, dass der Umgang mit unseren Böden eines der wichtigsten Themen für die Zukunft der Menschheit ist. Es zeigt sich: Ein Bodenschatz ist nicht in erster Linie das, was wir dem Boden für unsere Zwecke entnehmen können – sondern der größte Schatz ist der fruchtbare Boden selbst.
Im ersten Teil seines Gleichnisses richtet Jesus seinen Blick auf das Schicksal der Saat auf verschiedenen Böden. Im zweiten Teil überträgt er seine Beobachtungen auf das Innere der Menschen, die seine Botschaft von Gott hören. Auch hier hängt das Schicksal der „Saat“ von der Qualität des „Bodens“ ab. Wie gehen wir mit dem Nährboden unseres inneren Lebens um, also mit unserer Seele? Was tun wir, um diesen Boden zu schonen, zu pflegen und zu erhalten? Sind wir da heute weiter als die Menschen früherer Zeiten? Oder asphaltieren wir ihn im Konsum, überdüngen wir ihn durch ständig wechselnde Reize, vergiften wir ihn durch Gedanken, die andere Menschen abwerten?
Die Corona-Seuche hat uns einige Fragen mit neuer Dringlichkeit gestellt: Worauf kommt es im Leben wirklich an, was ist wirklich wertvoll? Wie können wir in der Bedrohung das Wertvolle bewahren? Wie können wir unser gemeinsames gesellschaftliches Leben stärken? Aber wer fühlt sich da nicht alles berufen, uns zu raten und uns zu sagen, was man tun und lassen soll, wie man den Alltag bewältigt und gut durch die Krise kommt? Wieviel seichtes Zeug wird da in die Welt gesät und über die Medien verbreitet! Um in der Bildwelt des Gleichnisses zu bleiben: Es gibt nicht nur den geschädigten Boden, es gibt auch viel wertloses, untaugliches Saatgut.
Da verlasse ich mich lieber auf einen Sämann, der gute Saat sät, den Sämann, wie er mir im Evangelium begegnet. Nur muss ich schauen, wie es um den Boden meines Inneren bestellt ist. Die Seel-Sorge beginnt bei dem, was ich selbst in meiner Seele pflege. Die christliche Tradition bietet einen reichen Schatz an Wissen und Erfahrung in diesem Bereich, eine wertvolle „Bodenkunde des inneren Lebens“. Da sind etwa die Auszeiten, in denen sich der innere Boden erholen kann: der Sonntag, das Gebet und die Meditation. Da ist die Gemeinschaft mit anderen, die dem Boden Wärme, Licht und Feuchte spendet: das in die Tiefe gehende, gute Gespräch, die geschenkte Unterstützung und Hilfe, die gemeinsame Feier des Gottesdienstes. Da sind die wohltuenden Ausdrucksformen einer christlich inspirierten Kultur (das Wort kommt ursprünglich von der Bearbeitung des Bodens her). Auch sie kann das Bodenleben der Seele anregen: die Schönheit in Architektur, Kunst, Literatur, Musik und Tanz.