Zum Tod von Eberhard SchockenhoffDer Zugewandte

Betroffenheit und Trauer sind groß: Mit Eberhard Schockenhoff haben die wissenschaftliche Theologie und die katholische Kirche in Deutschland eine ihrer prägendsten Persönlichkeiten verloren.

Dass sogar die Hauptnachrichten im Fernsehen über den tragischen Unfalltod des Freiburger Professors für Moraltheologie, Eberhard Schockenhoff, berichtet haben, gibt einen Hinweis darauf, welch Großer von uns gegangen ist. In unzähligen Reaktionen wurde an seine theologische Kompetenz, seine immense Kenntnis in nahezu allen Lebensbereichen – von Humanwissenschaften bis Kunst – und seine positive, zugewandte Art erinnert. „Sein Ziel war eine menschenfreundliche Gesellschaft“, schrieb etwa der Journalist Volker Hasenauer treffend. „Zentral war für ihn das individuelle Gewissen – und nicht der moralische Zeigefinger.“

Wer bei Eberhard Schockenhoff studieren durfte, wie der Autor dieser Zeilen, kann all das ergänzen durch persönliche Eindrücke. Er war ein Mensch, der sich ernsthaft für einen interessierte – wahrlich kein Professor, dem die Lehre, all die „ahnungslosen“ Studierenden im Grunde lästig gewesen wären. Dankbar ist man dafür, dass es auch später immer wieder Begegnungen gab. Eberhard Schockenhoff war immer ansprechbar. Er antwortete schnell, war zuvorkommend, völlig uneitel. Schockenhoff gab gerne Rat und erwartete dafür keinerlei Gegenleistung. Es ging ihm stets um die Sache. Im CHRIST IN DER GEGENWART rezensierte er zuletzt das Grundlagenwerk seines Fachkollegen Karl-Wilhelm Merks, dem er bescheinigte, dass er „mit Leib und Seele Moraltheologe sein möchte“. Eine Charakterisierung, die auch für Schockenhoff selbst gilt.

Geboren 1953 in Stuttgart studierte er Theologie – zunächst in Tübingen, dann in Rom, wo er 1978 zum Priester geweiht wurde. Schockenhoff promovierte bei Alfons Auer und war Assistent des späteren Kurienkardinals Walter Kasper in Tübingen. Anfang der neunziger Jahre wurde er als Professor für Moraltheologie nach Regensburg berufen, 1994 wechselte er nach Freiburg, wo er bis zuletzt blieb. Rufe an die Universitäten München und Tübingen lehnte er ab.

Seit 2001 war Schockenhoff Mitglied des Nationalen Ethikrats, von 2008 bis 2016 im Deutschen Ethikrat, dessen Vizevorsitzender er vier Jahre war. Parallel war er Herausgeber der „Zeitschrift für medizinische Ethik“. Er engagierte sich in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, übernahm 2016 die Präsidentschaft des Katholischen Akademischen Ausländer-Dienstes und war in vielen weiteren kirchlichen Gruppen und Gremien engagiert. Nun starb er im Alter von 67 Jahren an den Folgen eines Unfalls.

Der Radius von Schockenhoffs Denken und Handeln „war stets viel weiter, als es die Bezeichnung seines Lehrstuhls nahelegte“, schrieb der Journalist Daniel Deckers in der „Frankfurter Allgemeinen“. So meldete sich Schockenhoff in öffentlichen Debatten zu Wort, zuletzt etwa kritisch zum Sterbehilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts. Genauso bezog er Stellung in den Diskussionen um die Zukunft der Kirche. Schockenhoff gehörte zu den Unterzeichnern des Memorandums „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Er war Ratgeber und Diskussionspartner der deutschen Bischofskonferenz, etwa bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Georg Bätzing, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, hob Schockenhoffs „visionäre Kraft in seinem theologischen Forschen und Reden ebenso wie seine bemerkenswerte analytische Brillanz“ hervor. Er habe nie in Verbotskategorien gedacht. Die Vorsitzende des Katholisch-Theologischen Fakultätentags, Johanna Rahner, sagte, Schockenhoffs Tod sei nicht nur ein großer Verlust für die deutsche wissenschaftliche Theologie, sondern für die Gesellschaft insgesamt. In der katholischen Ethik habe er sehr viele Türen aufgestoßen und die katholische Sexualmoral vorangebracht. Für den „synodalen Weg“, bei dem Schockenhoff sich im Forum Sexualität engagiert hatte, sei dessen Tod eine Katastrophe.

Die Sprecher der deutschen Arbeitsgemeinschaft Moraltheologie, Christof Breitsameter (München) und Stephan Goertz (Mainz) erklärten: „Die Stimme von Eberhard Schockenhoff hatte in der Moraltheologie und weit darüber hinaus großes Gewicht und wird schmerzlich fehlen. Sein Tod riss ihn jäh aus Projekten, deren Rezeption im Fach gewiss war. Sein dem Leben zugewandter Glaube hat ihn zugleich unaufgeregt und ernsthaft die moralischen Fragen der Zeit durchdenken lassen.“

Sein Kollege an der Fakultät, Magnus Striet, sagte im „Deutschlandfunk“, Schockenhoffs Stärke sei es auch gewesen, stets neugierig für neue gesellschaftliche und wissenschaftliche Entwicklungen zu bleiben und begründete Kritik oder neue Argumente für sein Denken zu nutzen. „Auch seine Haltung, wonach Theologie nie abstrakte Debatte, sondern eine menschennahe Theologie sein soll, wird bleiben.“

Der Dekan der theologischen Fakultät Freiburg, Ferdinand Prostmeier, erinnerte in seinem Nachruf daran, dass Eberhard Schockenhoff „neben seiner Forschungs- und intensiven Lehrtätigkeit…Priester geblieben“ ist. „Es war ihm sehr wichtig, neben seiner universitären Tätigkeit als Professor seines Fachs und als öffentlicher Intellektueller immer auch ein Seelsorger zu sein, der Menschen begleitet. In einem Interview mit der ‚Zeit‘ hat Eberhard Schockenhoff vor wenigen Jahren einmal seine tiefe Überzeugung bekundet, dass das Leben in Gott seine Vollendung finde, ohne sich näher ausmalen zu wollen, was das konkret bedeute. An dieser Hoffnung hat er unzählige Menschen teilhaben lassen.“

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