Wie so vieles in diesem Jahr werden auch die Sommerferien anders als sonst. Vielleicht wurden schon große Urlaubspläne gemacht und dann wieder verworfen, als das Virus mit voller Wucht zugeschlagen hat. Manche wollen die Zeit wenigstens für einen Kurztrip nutzen und behalten nervös die täglich aktualisierten Ansteckungsraten an ihrem Traumziel im Auge. Soll man dieses Jahr fliegen – oder ist es unbedenklicher, stundenlang mit Fremden in einem Zugabteil zu sitzen? Für andere stellen sich diese Fragen gar nicht, weil Kurzarbeit oder Gewinneinbrüche solche Löcher in die Haushaltskasse gerissen haben, dass an Urlaub nicht zu denken ist. Was aber bleibt, ist die sommerliche Reiselust, die Sehnsucht, einmal im Jahr aus der bekannten Routine auszubrechen und in der Ferne fremde Eindrücke zu sammeln.
Welche teils bizarren Blüten die Situation treiben kann, zeigt ein Blick in die Zeitung. In der „Süddeutschen“ wird ein neues Geschäftsmodell vorgestellt. Reiseführer, die durch die ausbleibenden Touristen arbeitslos geworden sind, schicken für wenig Geld Postkarten mit Urlaubsgrüßen an unfreiwillig Daheimgebliebene. Sogar aus dem fernen Timbuktu kann man sich eine Karte bestellen, für ein bisschen Exotik im Briefkasten. „Viele finden es wohl originell, Post aus so einem entlegenen Ort zu bekommen“, bestätigt einer der Schreiber. Wer in der Sommerzeit von einem eher spirituellen Fernweh ergriffen wird, kann zur Bibel greifen. Die Frohe Botschaft eröffnet verschiedenste Epochen und Kulturen – und lädt mit ihren Anklängen an fremde Welten zu Entdeckungsreisen ein, die weit exotischer sind als jedes irdische Urlaubsziel. Wer weiß, vielleicht findet man gerade abseits der bekannten Pfade eine neue Lieblingsstelle.
Von einer etwas handfesteren Reiseerfahrung berichtet die „Badische Zeitung“. Eine taiwanesische Fluggesellschaft bietet Fake-Flüge an. Reiselustige werden vom Sicherheitsteam durchleuchtet, durch die Gangway geschickt und können sogar im Flieger Platz nehmen – bevor sie wieder aussteigen und nach Hause fahren. Und die Nachfrage ist groß: Für den ersten „Flug“ fanden sich hundertmal mehr Bewerber als freie Plätze, so dass am Ende gelost werden musste, wer die paar Minuten im stehenden Flugzeug sitzen durfte. „Sogar große Reisekoffer hatten manche stilecht dabei“, heißt es in dem Artikel. Auch hier zeigt sich, wie groß der Wunsch ist, den Alltag hinter sich zu lassen und – wenn auch nur gefühlt – in neue Sphären abzuheben. Kann die Kirche das gleiche Gefühl bieten? Zynische Zeitgenossen würden das bejahen: Aufbruchsstimmung, ohne dass sich wirklich etwas bewegt, wurde in den vergangenen Jahren reichlich erzeugt. Und dafür mussten noch nicht mal Sitzplätze verlost werden.