Menschen maßen sich an, im Namen Gottes zu sprechen und Autorität über andere auszuüben. Eine Autorität, die nicht hinterfragt werden darf, weil sie in der Weise legitimiert ist: „Nicht ich bin es, Gott ist es, der durch mich spricht und wirkt!“ Eine Autorität, die unfrei machen und missbraucht werden kann.
Sensibilisiert für das Problem könnte einem fast mulmig werden angesichts der berühmten Passage aus dem Matthäusevangelium: Auf das Bekenntnis des Petrus, dass Jesus der Messias sei, antwortet dieser: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (16,17–19). Öffnet hier das Neue Testament nicht selbst Tür und Tor für die problematische Anmaßung göttlich bestätigter Autorität? Da hilft es auch nicht, dass Petrus sich wenig später blamiert, indem er Jesus von seinem Leidensweg abbringen will.
Petrus – und seine Nachfolger – können auf Grundlage dieses Textes mit Recht diese gefährliche Autorität für sich einfordern, die sagt: „Nicht ich bin es, der Herr selbst ist es, der durch mich spricht und handelt.“ Freilich lässt sich die Aussage Jesu auch anders lesen. Seine Seligpreisung des Petrus ist nicht unbedingt ein Kompliment. Denn ihr zufolge hat er die Erkenntnis, wer Jesus wirklich ist, nicht aus sich. Sie ist ihm geschenkt. Zu sagen „Ich bin es nicht, es ist Gott, der durch mich spricht und wirkt“, könnte so auch ein Zeichen der Bescheidenheit sein: Ich bin nur das Instrument – wie Johannes der Täufer, der seine Aufgabe allein darin sieht, auf Jesus zu verweisen. Und doch: Kennen wir nicht auch diese scheinbare Bescheidenheit „Ich bin nur sein Werkzeug“, die in Wirklichkeit keine ist?
Diese Spannung führt ins Herz dessen, was christliche Religion ausmacht: die Zusage Gottes, gegenwärtig zu sein in der Gemeinschaft derer, die unter seinem Namen stehen und ihm folgen. Es ist notwendig, dass Menschen im Namen Jesu Christi sprechen und handeln können, dass sie seine Nähe und sein Heil zusagen können, zum Beispiel in der Taufe oder in der Lossprechung von den Sünden. Die Gefahr des autoritären Missbrauchs lässt sich davon nicht abtrennen, die Gefahr der Anmaßung von Macht oder der Manipulation, weil jemand „ein Amt hat“ oder eine besondere Berufung zu haben meint. Oder sie vielleicht sogar wirklich hat. Etwa bei Menschen, die geistliche Gemeinschaften gründen, führen und ein Charisma haben – aber die zugleich ihre Macht geistlich und/oder körperlich missbrauchen.
Religion ist gefährlich, weil der Glaube – wie die Liebe – die tiefsten Schichten in uns anrühren und stärkste Motivation in uns wecken kann. So gilt für den Glauben wie für die Liebe, dass diese Macht befreien und manipulieren, Leben wecken und zerstören kann. Manchmal mag das eng nebeneinanderliegen oder sich gar mischen. Die einzige Möglichkeit, dieser Doppeldeutigkeit zu entkommen, wäre es, sich gar nicht erst darauf einzulassen, sondern in sicherer Distanz zu bleiben. Aber ein Glaube, der sich nicht einlässt, kann nicht leben.
Also bleibt nur, immer wieder aufmerksam zu sein, wo die Zusage Gottes in Missbrauch verkehrt wird. Zu unterscheiden: Wo bin ich aufgefordert, mich einzulassen, und wo, kritische Distanz zu halten, gar Kritik zu üben – um des Glaubens willen, damit er uns selbst und andere zum Leben führt.