Alle Spiritualität muss unten beginnen. Hier. Auf der Erde und nicht im Himmel. Jetzt. Bei der eigenen Wirklichkeit, die nicht immer sehr erhaben, aber oft sehr durchwachsen und ziemlich mittelmäßig ist. Meist klafft eine Lücke zwischen Ideal und Wirklichkeit, die mal größer und mal kleiner, aber selten ganz geschlossen ist…
Menschen sind nicht vollkommen. Sie müssen es auch nicht sein. Menschen sind verletzlich, anfällig, wankelmütig. Die biblische Tradition rechnet von Anfang an mit unseren Schwächen. Viele ihrer großen Gestalten sind gebrochene Persönlichkeiten, die keineswegs alles richtig machen. Im Zeitalter der Selbstoptimierung wirken ihre holprigen Biografien erfrischend subversiv… Gelegentlich hilft ein Fehltritt, erst richtig Fuß zu fassen. Und Umwege sind nach dem Philosophen Hegel die eigentlichen Wege des Geistes. Also unvermeidlich für all jene, welche über Leben und Welt nachdenken. Und manchmal sogar schön.
Lorenz Marti in: „Türen auf! Spiritualität für freie Geister“ (Verlag Herder, Freiburg 2019)