Im Vatikan, so heißt es, blickt man zunehmend nervös auf Deutschland. Was geht da vor sich im Land der Reformation? Sicher, Papst Franziskus ermuntert immer wieder zum mutigen Aufbruch jenseits eingefahrener Strukturen, redet der Synodalität das Wort. Aber dass diese Deutschen das dann auch immer gleich alles so ernstnehmen müssen! Mit gleichberechtigten Laien, mit Frauen gar…
Es ist eine Menge passiert, seit sich die 230 Geistlichen und Laien Anfang des Jahres in Frankfurt am Main zur ersten Plenarsitzung („Synodalversammlung“) getroffen hatten (CIG Nr. 6). Das päpstliche Schreiben im Nachgang zur Amazonien-Synode brachte nicht die erhoffte Rückenstärkung, sondern im Gegenteil: nahm den Reformbemühungen den Wind aus den Segeln. Nicht einmal in einer Fußnote öffnete Papst Franziskus darin die Tür für die Priesterweihe verheirateter „bewährter Männer“. Jeden Gedanken an das Frauenpriestertum tat er mit der befremdlichen Warnung ab, dadurch würde ja nur die Klerikalisierung vorangetrieben, was ja keiner wollen könne.
Für den „synodalen Weg“ sei das päpstliche Dokument praktisch ein „Beerdigungsschreiben“, kommentierte damals der Journalist Joachim Frank. Franziskus I. löse „nichts von dem ein, was er den Katholiken über einen neuen ‚synodalen‘ Geist, über gestufte Verantwortung und regionale Problemlösungen versprochen hat“, schrieb Frank in der „Frankfurter Rundschau“. Der „synodale Weg“ sei „schon zu Ende, kaum dass er begonnen hat – zumindest bei den Themen Sexualmoral, priesterliche Lebensform und Rolle der Frau“.
Vor wenigen Wochen dann ein erneuter Nackenschlag: die vatikanische Instruktion der Kleruskongregation, die alle Überlegungen zu mehr Verantwortung für Laien pulverisiert hat. Statt eine mutige Antwort auf die pastoralen Nöte zu suchen, klammern sich die Verfasser ängstlich an das Kirchenrecht. Sie machen deutlich, dass sie sich bis ins letzte Detail, bis in die Wortwahl hinein zuständig – und damit den Ortsbischöfen überlegen – sehen. Brüsk wird zurückgewiesen, was mancherorts guter Brauch ist, etwa die Predigt durch Laientheologen in der Eucharistiefeier. Dies sei „auf keinen Fall“ erlaubt.
Fünf Orte, ein Gespräch
Und dann war da natürlich das „Mega-“ beziehungsweise „Meta-Ereignis“ Corona. Es verhinderte, dass sich die vier Foren wie geplant an die Arbeit machen konnten. Alles verzögerte sich. Zudem war wegen der Seuche das geplante zweite große Plenar-Treffen in Frankfurt nicht möglich. 230 Personen unter Pandemie-Bedingungen an einem einzigen Ort versammeln? Undenkbar. Aber auch inhaltlich hat Corona schwerwiegende Folgen für den „synodalen Weg“. Das Virus habe „bestehende Probleme gezeigt und verschärft“, schreiben die Theologen Gregor Maria Hoff, Julia Knop und Thomas Söding in einem gemeinsamen Impuls. Waren zum Beispiel die vielen digitalen Angebote in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen wirklich hilfreich? Oder haben sie doch nur die bleibende Priesterzentriertheit der Liturgie vor Augen geführt? Werden wir jemals wieder zu dem ohnehin nicht sehr üppigen Gottesdienstbesuch von neun Prozent zurückkommen, nachdem die Menschen wochenlang ohne Gemeindemesse auskommen mussten – und irgendwann auch gut auskamen? Die Einbrüche, so ist zu beobachten, reichen ja inzwischen weit in den „festen Stamm“ der bisherigen Gottesdienstteilnehmer.
In der Summe bedeutet das eine Menge Gegenwind für so ein zartes Pflänzchen, wie es der deutsche Reformdialog ist. Wenn jetzt noch der Septembertermin ersatzlos ausgefallen wäre, hätte man den „synodalen Weg“ wohl tatsächlich begraben können. Er wäre ähnlich sang-, klang- und folgenlos im Sande verlaufen wie der „Gesprächsprozess“, den die deutschen Bischöfe in den Jahren 2011 bis 2015 veranstaltet hatten.
Die Verantwortlichen waren sich dieser Gefahr bewusst. Und so haben sie spontan das neue Format „Regionenkonferenzen“ geschaffen. Statt eines großen Treffens in Frankfurt gab es nun fünf kleinere Versammlungen in Berlin, Dortmund, Frankfurt, Ludwigshafen und München. Anders als geplant fand dabei auch keine offizielle erste Lesung der Texte aus den vier Foren statt. Das Ganze hatte eher atmosphärischen Charakter. Man versicherte sich gegenseitig, dass man nach wie vor gemeinsam unterwegs ist, und überlegte, ob etwas beziehungsweise was genau durch Corona anders geworden ist. Das wesentliche inhaltliche Element war eine Anhörung (Hearing), etwas, das die Satzung des „synodalen Wegs“ so eigentlich gar nicht kennt: Man holte sich ein Stimmungsbild zu bereits vorliegenden Textbausteinen aus zwei Foren ein. Es sollte dabei um einen ersten Eindruck gehen, ob man mit den Dokumenten auf dem richtigen Weg ist. Gemeinsame Arbeit an den Formulierungen oder eine Abstimmung darüber waren nicht vorgesehen.
Die Dramaturgie der Veranstaltung, die an allen fünf Orten identisch war, hatte einiges für sich. Es war nichts anderes denkbar, als sich zunächst mit dem Corona-Schock auseinanderzusetzen. Warum hat die Kirche in dieser Ausnahmesituation so gehandelt, wie sie gehandelt hat? Wie konnte der Eindruck entstehen, sie würde die Menschen, die Gläubigen alleinlassen? Die ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin und frühere Gemeindepfarrerin Christine Lieberknecht war ja nicht die Einzige, die sich irritiert äußerte. Während sich die Kirchen sonst zu allen möglichen gesellschaftlichen und politischen Themen zu Wort melden, gab es zur Pandemie, so die Politikerin, „nur Schweigen“.
„Unsere Hoffnung“ – fehlt noch
In Ludwigshafen, wo der Autor dieser Zeilen die Regionenkonferenz verfolgte, nahm man diese Anfrage selbstkritisch auf. Zwar verwiesen einige Teilnehmer darauf, dass die Kirchen ja gar nicht untätig gewesen seien. Sie hätten etwa Nachbarschaftshilfen organisiert. Kindergärten und Schulen hätten ihr Möglichstes versucht, auch die kirchlichen Internetangebote seien nachgefragt worden. Doch: All das „machen andere auch“, räumte der Trierer Bischof Stephan Ackermann ein. Müssten die Kirchen sich also nicht eher dem widmen, wozu sie in erster Linie da sind, was ihr ur-eigener Auftrag ist? Das stellte insbesondere der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann heraus. Corona führe die Verletzbarkeit der ganzen Welt vor Augen. „Hat unser Gottesbild darauf eine Antwort?“
Gleich mehrere Teilnehmer erinnerten in diesem Zusammenhang an den bis heute frischen und richtigen Beschluss „Unsere Hoffnung“ der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland („Würzburger Synode“) von 1975. Müsste sich die Synodalversammlung nicht dazu entschließen, angesichts von Corona eine Fortschreibung des Dokuments zu den aktuellen Herausforderungen zu veröffentlichen? Arbeitstitel etwa: Was ist unsere Hoffnung – entgegen aller Katastrophen? Was haben wir Christen der Gesellschaft zu sagen?
Nach dieser Vorrede ging es um die Themen des „synodalen Wegs“ im engeren Sinn. Eine Untergruppe des Forums „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ stellte einen ersten Textentwurf vor. Anders als die anderen Teilgruppen, die ausdrücklich weit nach vorne ausgreifen wollen – bis hin zur Diskussion der Diakonen- und Priesterweihe von Frauen –, geht es hier um einen begrenzten, man könnte auch sagen: bescheidenen Rahmen. Ausgelotet werden soll, wo im Einzelnen die Möglichkeiten des geltenden Kirchenrechts noch nicht ausgeschöpft sind, welchen Gestaltungspielraum der Stand der Dinge hergibt, um mehr Frauen in verantwortliche Positionen in der Kirche zu bringen.
Die vorgelegten achtzehn Seiten wurden von den Delegierten in Ludwigshafen wohlwollend aufgenommen. So positiv, dass – als es irgendwann keine Wortmeldungen mehr gab – immer noch nicht das Ende der Beratungszeit erreicht war. Alle waren sich einig, dass sie mehr Verantwortung an Laien, insbesondere an Frauen, geben wollen – und zwar nicht nur aus der Not des Priestermangels heraus, sondern weil es von der Sache her richtig ist. Angestrebt werden soll beispielsweise in den nächsten fünf Jahren eine Frauenquote von dreißig Prozent in diözesanen Gremien. Ab diesem Wert, so hieß es, beginne das „kulturverändernde Potenzial“, werde sich Kirche spürbar und nachhaltig zum Positiven wandeln.
Frauen, die Predigten schreiben
Die Vorschläge der Untergruppe wurden als theologisch gut begründet wahrgenommen. Und auch was die konkrete Umsetzung angeht, sprühten die Delegierten in Ludwigshafen – mehr als zwei Drittel waren Männer – nur so vor Ideen. Am Spannendsten ist dabei vielleicht ein Thema, das auch in der vatikanischen Instruktion ausdrücklich angesprochen wird: die Beauftragung von Laien, auch Frauen, zur Taufe und zur Eheassistenz, also zur Trauung. Warum, so fragten etliche Teilnehmer, hat die Bischofskonferenz noch keinen Vorstoß in dieser Sache unternommen, wenn selbst die Kleruskongregation jetzt auf dieses seit langem geltende Recht hinweist? Auch bei der Übertragung von Leitungsvollmacht auf Laien sehen die Autoren des Dokuments noch Spielraum. Der Kirchenrechtskanon 517, Praragraf 2, erlaubt dies im Ausnahmefall des Priestermangels. Aber gilt das weiterhin nur für eine zeitlich begrenzte Notsituation und nicht vielleicht doch grundsätzlich?
Allerdings: Sobald man den traditionell liberalen Südwesten verließ, war es nicht mehr so weit her mit dem Vorwärtsdrängen. In Ludwigshafen etwa erzählte der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst freimütig, wie „zentral und wichtig“ es sei, dass auch qualifizierte Laien in der Eucharistiefeier predigen dürfen. In anderen Kontexten wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen, Referentinnen, die Predigtexte für Bischöfe und andere Geistliche schreiben, was dann in der Eucharistie nur noch abgelesen wird. Warum sollen die betreffenden Frauen dann nicht gleich selbst predigen? Ein anderer Redner sprach sich sogar dafür aus, den Prädikanten, also den beauftragten Prediger, die beauftragte Predigerin, als Teil des Weiheamtes einzuführen. Dies alles, so setzten die Redner noch drauf, dürfe aber nicht geschehen, um von der Frage der Priesterweihe für Frauen abzulenken.
Aber ein paar hundert Kilometer entfernt, bei einer anderen Regionenkonferenz, sah dies schon wieder anders aus. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer etwa erklärte in München, dass Verkündigung und Eucharistie nicht voneinander zu trennen seien. Predigten durch Laien sind für ihn demnach nicht vorstellbar. Auch die Aussage in dem Textentwurf, Jesus habe Jüngerinnen und Jünger gehabt, aber niemanden geweiht, sei theologisch unsauber. Dieser Kritik schloss sich der Limburger Bischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, an.
Dauerthema Sexualität kontrovers
Man mag all das als Ausreißer sehen. „Das Mittelfeld ist sehr groß“, hob der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode ein ums andere Mal hervor. Doch beim zweiten Papier, das auf den Regionenkonferenzen vorgestellt wurde, ließ sich beim besten Willen überhaupt kein Konsens herbeireden. Der Arbeitstext zur katholischen Sexuallehre spiegelt schon in seinem Aufbau die Zerrissenheit der Meinungen wider. Zu beinahe jedem Votum gibt es ein Alternativvotum, Position und Gegenposition. Muss jeder sexuelle Akt „offen sein“ für die Weitergabe des Lebens? Ist die Ehe „die einzig gebotene Form, Liebe und Sexualität… zu leben“? Wie geht die Kirche mit „verschiedenen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten“ um?
Gerade bei diesen Themen liegen die Nerven nach wie vor blank, die Positionen weit auseinander. Kritik an dem Textvorschlag kam gleichermaßen von Reformern wie von denen, die an der traditionellen kirchlichen Lehre festhalten wollen. Die Geschäftsführerin der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, Brigitte Vielhaus, forderte etwa in Frankfurt, das Papier sollte „neu geschrieben werden“. Nötig sei eine stärker „positive Wertschätzung von Sexualität“. Kirchenvertreter sollten sich grundsätzlich „in Demut zurückhalten, sich zu Fragen von Sexualität zu äußern“. Der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp dagegen betonte, sexuelle Lust müsse an „Fruchtbarkeit“ und „Weitergabe des Lebens“ angebunden sein. Weil er mit seiner Warnung vor dem Bruch in der kirchlichen Sexuallehre nicht durchgedrungen sei, habe er sich von der Mitarbeit aus diesem Forum zurückgezogen.
Die Anhörung zu diesem zweiten Textbaustein machte deutlich: Die Teilnehmer des „synodalen Wegs“ sind sich da nicht bloß in Nuancen uneinig, sondern grundsätzlich. Weitaus mehr noch dürften bei diesem Thema die Katholiken insgesamt gespalten sein. Der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes warnte davor, in der Öffentlichkeit könne der verhängnisvolle Eindruck entstehen: „Seht, wie sie einander zerfleischen“. Und selbst wenn sich eine deutliche Mehrheit der Delegierten auf ein gemeinsames Papier einigen würde: Was passiert, wenn Rom es „einkassiert“, weil es geltender Lehre, aktuellem Kirchenrecht widerspricht? So sehr man dem Eindruck entgegentrat, in der Kirche stünden sich derzeit verschiedene „Lager“ gegenüber, die nicht zusammenzubringen sind – ist es denn etwas anderes?
So wird die Frage immer drängender: Was kann eigentlich am Ende beim „synodalen Weg“ realistischerweise herauskommen? Nur ein „Gut, dass wir mal darüber geredet haben“, wäre zu wenig. Birgit Mock, Geschäftsführerin des Hildegardis-Vereins und familienpolitische Sprecherin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, fand für die Herausforderung ein treffendes Bild. In vielen Fragen gleiche die Diskussion dem Buchstaben „Y“. Soll heißen: Es gibt eine Reihe von Punkten, bei denen man sich einig ist, wie beim „Standbein“ des Buchstabens. Irgendwann aber gehen die Meinungen, die Überzeugungen zwangsläufig auseinander – eben wie die beiden oberen Arme des Y. Ziel müsse es sein, die gemeinsamen Abschnitte zu verlängern.
Aber reicht das, um ein Ergebnis zu erzielen, mit dem die überwältigende Mehrheit leben kann, das von (fast) allen getragen wird? Oder sind die Unterschiede letztlich nicht zusammenzubringen? Mit anderen Worten: Wird aus dem Y womöglich niemals ein I? Muss man sich vielleicht darauf einstellen, mit einer gewissen Vielsprachigkeit zu leben?