Versucht wird, aus dem Herzen der Theologie ins Offene zu gehen.“ So beschreibt der Frankfurter Theologe Knut Wenzel seine Zielrichtung. Und es erweist sich tatsächlich als eine höchst fruchtbare Idee, Gemälde und Bilder zum Medium theologischer Überlegungen zu machen – freilich ohne sie irgendwie zu „vernutzen“. Vor allem Christus und Maria will Wenzel auf die Spur kommen. Er wählt dafür das Format eines Zweiflügelaltars: auf der einen Seite Marien-, auf der anderen Christusbilder in Fülle, mit einem Schwerpunkt in der Renaissance. Zu jeweils einem Werk liefert er eindringliche Reflexionen. So kann man sie gut schrittweise und einzeln meditieren.
Die Rede vom Aufnehmen einer Spur darf man dabei wörtlich nehmen. Denn vom Charakter her sind diese Texte tastende Annäherungen, Resonanzen, dem Wort von Novalis folgend: „Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria lieblich ausgedrückt,/doch keins von allen kann dich schildern, wie meine Seele dich erblickt.“
Ein zentraler Aspekt ist für Wenzel die Inkarnation: vom Menschen in die Unermesslichkeit dessen, der da Gott heißt; von diesem Gott her in das Abgründige, das der Mensch ist. Nichts ist geheimnisvoller als das menschliche Antlitz, im Widerschein des Göttlichen. Immer geht „mein“ Blick über „einen Abgrund des Nicht-Verstehens hinweg“, wie der britische Schriftsteller John Berger es ausdrückt – angeschaut und anschauend, immer ins Offene. Am Schluss der eindringlichen Betrachtungen steht programmatisch der Satz: „Kein anderes Bild des Absoluten haben wir als seine Reflexion im Antlitz des Subjekts.“
In derselben Haltung und Perspektive wie bei den Bildern erschließt Wenzel in einem zweiten Buch literarische und poetische Texte, auch hier „im Dreieck von Mystik, Prophetie und Kritik“. Unterschiedliche Werke – von Albert Camus bis zu Peter Handke und Ian McEwan – werden auf ihr verborgenes „Resistenzpotential“ hin gelesen. Hervorzuheben ist dabei wiederum der beispielhafte Respekt vor der Autonomie der Kunst und der schöpferischen Vorstellungskraft des Subjekts – grundlegend zumal im Christlichen mit seiner Betonung des Wortes Gottes und der „heiligen“ Schrift.
Es ist aufregend zu sehen, wie ein Fachtheologe – mit Philosophie zumal von Paul Ricœur und Emmanuel Levinas „im Gepäck“ – neue Wege des Theologisierens begeht. Ganz im Stil klassischer Phänomenologie, die notwendige Unterscheidung von Anschauung und Begriff „aufhebend“, geht Wenzel zu den „Sachen selbst“ – jene zentralen Resonanzräume aufsuchend und buchstabierend, in denen Theo-Logie noch beides ist: schon des Menschen Reden von Gott und zuvor und darin Gottes Reden selbst. Denn nach christlicher Grundüberzeugung „wollte sich der Unbegreifliche begreiflich machen“, wie Papst Leo der Große sagte. Er wollte und will sich sehen und verstehen lassen. Wenzels Interpretationen verführen an die Quellorte von Religion und Kunst und unterstreichen beider Ausdrucksintensität – und das „unvermischt und ungetrennt“ und mit größter Achtsamkeit. Es sind also beispielhafte Lektüren in und für jene Seh- und Hörschule, die über die Nicht-Selbstverständlichkeit des Daseins staunen lässt und über jenes Unbegreifliche, das Gott, Mensch und Welt in Unterscheidung verbindet.