Im Sport und in der ReligionZuschauer

Der Mensch ist zur Körperlichkeit bestellt, zum unmittelbaren Schauen, Hören, Fühlen, Riechen. Digital geht vieles, nicht aber das durch andere in Erregung versetzte Körperliche.

Der Hochleistungs-Profisport verdient das allermeiste Geld mit den Übertragungsrechten fürs (Bezahl-)Fernsehen. Immer mehr Streaming-Dienste wetteifern auf diesem Markt, der vor allem von Werbung lebt. Eigentlich könnten die großen Wettkämpfe digital ganz ohne Zuschauer vor Ort stattfinden. Aber wie fad ist das denn! Corona gab einen Eindruck davon, wenn die Fans in den Stadien oder an den Rennbahnen fehlen. Am Bildschirm erlebte man „nichts“: keine Fangesänge, kein Raunen, kein Aufschreien, kein erlösendes Gebrüll „Tooor!!!“ Selbst beim Champions-League-Endspiel hallten nur unverständliche Zurufe der Spieler und Betreuer echoartig durchs leere Arena-Rund. Traurige, atmosphärisch tote Kämpfe, bei denen man zwar optisch dabei sein kann, aber ohne dass die Vielen stellvertretend für einen selbst echt nah dabei sind.

Der Mensch ist zur Körperlichkeit bestellt, zum unmittelbaren Schauen, Hören, Fühlen, Riechen. Digital geht vieles, nicht aber das durch andere in Erregung versetzte Körperliche. Der Mensch ist Voyeur. Und ohne das wäre er nicht Mensch. Er will mit da sein, wo die Vielen sind. Einsamkeit und Abgeschiedenheit von der Masse, der Menge, der Gemeinschaft ist schön, aber nicht für immer. Nichts geht über das Opernereignis im Amphitheater von Verona, nichts über Liebe und Eifersucht vor Augen auf der Theaterbühne, nichts über die beim Rockkonzert im Zwerchfell vibrierenden Bässe, nichts über die schnaubenden Rennpferde, das Gestampfe der Hufe und das Gebrüll der Anfeuernden beim Einlauf auf der Zielgeraden, nichts über das ohrenbetäubende Dröhnen der Motoren an der Formel-1-Strecke.

Nicht viel anders ist es mit der Religion, die aus der Sinnlichkeit direkten Dabeiseins wirkt – bei Wallfahrten, Festen, dem Gottesdienst. Wie schwach dagegen bleibt eine dogmatisch fein ziselierte Theologie mit Derivaten im Katechismus. Eucharistie am Bildschirm, am PC? Selbstverständlich! Und warum sollte die Kraft der Wandlung in Echtzeit nicht unbegrenzt weit hinüberreichen zu Brot und Wein auf dem individuellen Wohnzimmertisch. Gottes Transubstantiation kennt doch wohl keine geografische Streckenbegrenzung. Aber wie kalt bleibt das Zuschauen und Mitfeiern ohne die Zuschauenden und Mitfeiernden in der realen Nähe! Wir einsamen Zuschauer. Und wie einsam muss Gott sein, wenn er den sich auf dem Erdenrund abspielenden Tragödien und Komödien ganz allein aus der Ferne zuschauen muss. Oder ist er doch nah dran? Nicht als Überwacher, der alles streng beobachtet und darüber Buch führt, sondern als Dabei-Gott, der mit seinem „Schlusspfiff“ allem Geschehen erlösend zu Heil und Sinn verhilft. Hoffentlich dann ebenfalls unmittelbar körperlich, leiblich, sinnlich: Auferstehung genannt.

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