Drogen am ArbeitsplatzHält Koks den Kapitalismus am Laufen?

Manchmal fördert die Wissenschaft seltsame Dinge zutage, zum Beispiel über Drogenmissbrauch an den Schaltzentralen der Macht.

Das Abwasser bringt vieles an den Tag – zum Beispiel welche Menge an Drogen die Bewohner und Werktätigen einer Stadt konsumieren. In London ist bei entsprechenden Untersuchungen festgestellt worden, dass täglich 23 Kilogramm des Rauschgifts Kokain über die Ausscheidungen der Leute im Abwasser landen. Das sei eine weitaus höhere Menge, als Barcelona, Amsterdam und Berlin zusammen aufweisen, berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“. Und noch ein weiterer Wert ist erhellend: An den arbeitsruhigen Wochenenden wird nicht wesentlich mehr Koks konsumiert als während der Woche. Das heißt erschreckend im Umkehrschluss: Während der werktäglichen Arbeitszeit herrscht ein reger Rauschgiftverbrauch. Kokain ist an der Themse also eine „Alltagsdroge“ im wortwörtlichen Sinn. Nur dort?

Schon seit langem weiß man, dass Kokain in allen Schichten der Bevölkerung gebraucht beziehungsweise missbraucht wird, unter anderem als Aufputschmittel. Nicht mehr nur als Schickeria-Partydroge in der Freizeit, sondern inzwischen auch am Arbeitsplatz, um sich fit und leistungsstark zu halten. In Dienstleistungsbereichen, die extrem stressige Schnellstentscheidungen und manchmal sehr viele Überstunden verlangen, auf Kosten von ausreichend Schlaf, greifen die hochbezahlten Beschäftigten anscheinend besonders gern zu Kokain: bei gewichtigen Beratungsfirmen, an den Börsen, in Banken, Versicherungen, aber auch bei hochkarätigen Medienkonzernen und der Show-Unterhaltungsindustrie… Kokain hält den Hochfinanzkapitalismus mitsamt der begleitenden Hochleistungs-Weltwirtschaft und der einflussreichen Lifestyle-Kultur am Laufen – so eine Schlussfolgerung der Messergebnisse.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ weist darauf hin, dass jetzt der konservative Kandidat für die Londoner Bürgermeisterwahl, Shaun Bailey, im Falle eines Sieges durchsetzen will, dass in allen größeren Unternehmen systematische Kokaintests durchgeführt werden, auch im Homeoffice. Bailey, jamaikanischer Abstammung, war in einem sozial eher schwachen Viertel aufgewachsen. Er will „gutbezahlte Angestellte in der Londoner City dafür sensibilisieren, dass sie mit ihrem Konsum die Gang- und Drogengewalt in ärmeren Quartieren fördern“. Mehr noch: Das könnte ein Stück weit auch das Bewusstsein aufklären, wie stark unsere moderne Wohlstandskultur letzten Endes abhängt von Rauschgiftsüchtigen an bedeutenden Schalthebeln der Macht. Aufklärung aber ist immer systemgefährlich. Wahrscheinlich deshalb hat Bailey keine Chance.

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