Der Mystiker und Eremit Johannes von Dalyatha (ca. 690–ca. 780) lebte in den Bergen der heutigen türkisch-irakischen Grenzregion. Seine Texte – Geistliche Reden und Briefe – bezeugen den Reichtum syrisch-aramäischer Sprache und Spiritualität. Eingebettet in ein monastisches „Netzwerk“, nahm Johannes eigene Erfahrungen und die anderer auf, um zu raten und zu führen. Zwar war auch er grundsätzlich der Überzeugung, dass es zur Erfahrung Gottes vor allem das Schweigen und Stillwerden braucht. Doch gehört er zugleich zu jenen Mystikern, denen dieses Abenteuer mit Gott zu bedeutsam erschien, als dass man es verschweigen durfte. So legte er seine anfängliche Zurückhaltung ab und formulierte diese Juwelen christlicher Spiritualität.
Kundig übersetzt und erläutert hat die Texte der evangelische Pfarrer und Orientalist Matthias Binder. Das ist ein wichtiger ökumenischer Dienst, zugleich eine Pioniertat, weil die Bedeutung altsyrischer christlicher Mystik heute abgelegen erscheinen mag. Tatsächlich jedoch ist sie wichtig für das Werden des Christentums, aber auch des Islam. Es sind kostbare Zeugnisse der Gottsuche für alle, die „den Mönch in sich“ entdecken wollen, also das Geschenk betender Gottesverbundenheit.