Der Soziologe Heinz Otto Luthe befasst sich mit der Bedeutung, der Rolle und dem Erbe derjenigen Kirchen, die wir heute konfessionell der orientalisch-orthodoxen Kirchenfamilie zurechnen. Der sozialwissenschaftliche Zugang ermögliche, so der Autor, einen kritischen Blick von außen. Sein Anspruch liegt darin, „Aufmerksamkeit zu wecken für die mehrstimmige Eindringlichkeit, mit welcher der frühe christliche Orient in die Gegenwart spricht“. Luthe greift beispielhaft die syrische Kirche und Theologie des zweiten Jahrhunderts heraus. Er entscheidet sich für drei Autoren, deren Werke der poetischen Theologie zuzurechnen sind und die er im Hinblick auf ihre Impulse für heutige Entwürfe von Kirche und Theologie befragt.
Das Buch trägt an vielen Stellen den Charakter der „Oppositionskritik“: Das erste Viertel kritisiert ausgewählte Forschungsbeiträge und Autoren, die den christlichen Orient in Gegenstand und Darstellungsweise nicht berücksichtigen. Umgekehrt aber fehlt im Buch (und zum Teil auch der Argumentation) Luthes der aktuelle Forschungsstand. Damit vermisst man hier einerseits eine angemessene Würdigung dessen, was man heute über den christlichen Orient an Forschungsleistung und -aktualisierung erarbeitet hat. Andererseits fehlt eine adäquate Einordnung theologischer Werturteile der früheren Forschung, auf die sich Luthe großteils bezieht. Ja, mehr noch: Luthe arbeitet selbst bisweilen mit Werturteilen, die einer geschichtlichen Einordnung nicht gerecht werden: Einander kontrastreich gegenübergestellt werden etwa ein „ursprüngliches, in der Botschaft Jesu verankertes Glaubensleben“ und die dogmatische Fixierung von Glaubenssätzen, die dieses Ursprüngliche „überlagert, eingeengt und stillgelegt“ habe. Es ist die Rede von einer „Lebendigkeit des Christentums“ und ihrer Lähmung durch „historisch und in ihrer Dignität nachgeordnete Instanzen“; Luthe sieht im Bereich der ost-westlichen Kommunikationsgeschichte bisweilen „sprachliche Verwahrlosung“ und „verbale Entgleisungen“ bis dahin, dass er Geschichte als einen „Prozess der Zivilisierung“ versteht.
Im Bewusstsein dieser Zugangsweise Luthes, aber auch seiner eigentlichen Zielsetzung folgend, darf das Buch als Motivation und Ansporn gelesen werden, das reiche Erbe des christlichen Orients zu würdigen und bewusst zu suchen, solange seine Aufbereitung und Rezeption nicht selbstverständlich sind. Dieses Anliegen wird auch durch die vielfältige Zusammenarbeit der Forschungseinrichtungen, Institutionen und Kirchen getragen, die zu unterstützen gerade in einer Zeit wichtig ist, in der das Stichwort „Systemrelevanz“ auch die Wissenschaftspolitik mehr und mehr in ihren Entscheidungen beeinflusst.