Wer Dietmar Mieth aus seinen Vorlesungen zur Moraltheologie in Tübingen und seinen vielseitigen Veröffentlichungen zur Medizin-, Sterbe- oder Sportethik, zu Biotechnik oder auch zu Literatur und Mystik kennt, bringt den aufständlerischen Titel seiner Autobiographie nicht in Einklang mit dem unaufgeregten Menschen, der 1974 als erster Laientheologe auf einen Lehrstuhl für Moraltheologie ins schweizerische Fribourg berufen wurde. Gerade im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils und bei den gesellschaftlichen Umbrüchen der achtundsechziger Jahre sind Andere ins Blickfeld und in die Kritik der römisch-katholisch verfassten Kirche geraten, mit teils schwerwiegenden existenziellen beruflichen Folgen.
Mieth schreibt eine leisere Geschichte des Widerstandes, angefangen von seinem Austritt aus dem Priesterseminar in Trier über die darum erforderlichen Umwege und Ausweitungen zum Staatsexamen in Germanistik und Philosophie bis hin zur Promotion in Theologie und seiner langjährigen Lehrtätigkeit in Tübingen. Der erste Teil seines Buches ist darum als eine „Chronologie der Erinnerungen und Erfahrungen“ verfasst, während der zweite Teil „Persönliche Erfahrungen im Diskurs“ sich ausführlicher besonderen Themen, Begegnungen und der Klärung zentraler Begriffe und Verständnisweisen zuwendet.
Schon zu Beginn betont Mieth das Nichtkonforme als feste Konstante in seinem Leben. Sein Aufwachsen in der Nachkriegszeit im Saarland zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen unkirchlicher, evangelischer und katholischer Tradition, seine Entscheidung für die katholische Kirche, schließlich gegen das Priesteramt und für Ehe und Familie. Im fachlichen Austausch mit seiner Frau entstanden Artikel und Bücher zu Sexualität, Familienplanung und Schwangerschaftsabbruch. Die Förderung von Frauen in der Theologie wurde auch vor diesem Hintergrund ein Anliegen.
1989 trat Mieth zusammen mit Norbert Greinacher als Initiator der „Kölner Erklärung“, die auch international viel Beachtung fand, in die Öffentlichkeit. Sie richtete sich gegen die Steuerung von Bischofsernennungen von Rom aus, gegen das „Nihil obstat“, das sich der Vatikan bei der Besetzung von Lehrstühlen vorbehält, und gegen die damit einhergehende befürchtete Dogmatisierung der Empfängnisregelung in „Humanae vitae“. Aus den Aktivitäten entstand anschließend in Zusammenarbeit mit Peter Hünermann die Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie. Weiter widmete sich Mieth bis heute der Ethik in den Wissenschaften und in der Politik.
Wer nicht mit den Theologien und Personen, den Stimmungen und Ausrichtungen bei Organisationen und Universitäten vertraut ist, die Mieth für sich als besonders prägend anführt, wird im ersten Teil des Buches wahrscheinlich nicht die ganze Fülle an Zusammenhängen erfassen. Vieles bleibt hinter Namen und Schlüsselworten verborgen, wird nur angerissen. Dennoch tritt hervor, dass Mieth sich selbst in eine Geschichte von Beziehungen und Erfahrungen einordnet, sich als Teil von etwas betrachtet, das ihn gleichzeitig trägt und fordert, aber auch bestimmt oder einschränkt. Mieth sieht sich nicht als Einzelkämpfer. Dass er nicht (immer) einverstanden ist, stellt bei ihm auch keine Grundhaltung dar. Widerspruch richtet sich jeweils konkret auf die Dinge, die nach einer gründlichen fachlichen und persönlichen Auseinandersetzung nicht zu akzeptieren sind. Beispiele werden im zweiten Teil des Buches genannt. An ihnen klärt Mieth, was er unter Nonkonformismus, Toleranz und Kompromiss versteht, wie „Laientum“ oder „religiöse Selbstbestimmung“ gedeutet werden können und was für ihn das Eigene einer christlichen Ethik ausmacht. Hier findet sich eine Fülle von Einsichten und Anstößen, die es erst durch- und dann weiterzudenken lohnt.