Das Jahr 2020 bietet doppelte Gelegenheit, Johannes Paul II. in neue Erinnerung zu rufen: Er wurde vor hundert Jahren geboren und starb vor fünfzehn Jahren. Eine Reihe von Veröffentlichungen hat sich das Gedenken zunutze gemacht, so auch dieses Sammelwerk, zu dem ein Journalist und fünf Theologen Studien beigetragen haben, die weniger das Leben als das literarische Werk des polnischen Papstes zum Thema haben.
Wie alle seriösen Arbeiten hat sich der Band mit der von äußersten Gegensätzen gekennzeichneten Gestalt dieses Mannes auseinanderzusetzen, der seine Zeit wie nur wenige beeinflusst und geformt hat. Johannes Paul II. war wesentlich an der Implosion der sowjetischen Diktatur beteiligt, hat aber zugleich als Kirchenleiter einen Regierungsstil entwickelt, der den Gläubigen wenig Freiheitsraum beließ. Er war maßgeblich für die Menschenrechtsbewegung, wollte diese aber für die Kirche nicht wirklich zulassen. Als leidenschaftlicher Verfechter der Heiligkeit des ungeborenen Lebens hat er sich doch nur mäßig für das geborene interessiert, wie sein Umgang mit der spätestens seit 2002 in Amerika bekannt gewordenen Missbrauchskrise zeigt. Er ließ das Kirchenrecht neu bearbeiten und den „Katechismus der katholischen Kirche“ erstellen, doch beide erwiesen sich entgegen der verkündigten Absicht in weiten Teilen als Rückschritt hinter das Zweite Vatikanische Konzil.
Nach einem einleitenden Beitrag von Daniel Deckers, der die Situation von Kirche und Welt zur Zeit des Pontifikats (1978–2005) schildert, erörtern Magnus Striet (Lehramtliche Tätigkeit) und Stefan Goertz (Freiheitsverständnis) wesentliche Grundlagen des päpstlichen Denkens. Eberhard Schockenhoff stellt die „Theologie des Leibes“ vor und weist deren Schwachstellen nach. Gerhard Kruip befasst sich mit der Auseinandersetzung mit der südamerikanischen Befreiungstheologie. Im letzten Beitrag zeichnet Johanna Rahner dann doch ein freundlicheres Bild, wenn sie des Papstes Haltung zu den anderen Religionen (also genau genommen einem Außenbereich), gipfelnd im Friedensgebet von Assisi (1986), anhand der Quellen darstellt. Dafür freilich wurde er von den Konservativen der Kirche heftig beschimpft („freimaurerisch inspiriert“).
Der aktuelle Wert der Veröffentlichung liegt darin, dass ständig auf die Nachwirkungen („Hypothek“) des Pontifikats in der Gegenwart hingewiesen wird. Sie sind trist. Wie seine Nachfolger hat sich Johannes Paul II. geweigert, die vom Zweiten Vatikanischen Konzil angemahnte Beachtung der Zeichen der Zeit zu befolgen. Sein ungeschichtliches Denken hat die Kirche in die Krise geführt, die der Glaubensgemeinschaft ihre Grenzen gnadenlos zeigt. Ein nachdrücklicher Diskussionsbeitrag auch für den „synodalen Weg“.