Morgens durch einen Feenwald flattern, im viktorianischen England zu Mittag essen und dann ein Abstecher in die Urzeit. In der Zukunft von „Cryptos“ ist das Alltag. Allerdings nur digital. In virtuellen Realitäten erleben die Menschen Abenteuer, schließen Freundschaften oder kämpfen auf Leben und Tod. Alles ohne Folgen, denn ihre Körper liegen sicher verwahrt in Versorgungskapseln.
Jana, ein junges Informatik-Genie, ist Teil des Teams, das die Computer-Landschaften entwirft. Vor ihrem Bildschirm hat sie die totale Kontrolle. Umso erstaunter ist Jana, als auf einer ihrer friedlichsten Welten plötzlich ein Mörder umgeht, den das Programm nicht identifizieren kann. Kurzentschlossen klettert Jana selbst in eine Kapsel, um in ihrer Welt nach dem Rechten zu sehen, und kommt – wie könnte es anders sein – einer großen Verschwörung auf die Spur.
Die österreichische Jugendbuchautorin Ursula Poznanski beschäftigt sich seit Jahren mit der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine und bringt ihren Lesern auf diese Weise, ganz nebenbei, medienkritische Fragen näher. Mit „Cryptos“ liefert sie eine bestechend aktuelle Version von Platos Höhlengleichnis. Ihre Figuren leben in kleinen, perfekt organisierten und dauerüberwachten Wohlstandswelten und kümmern sich nicht darum, wie die Wirklichkeit draußen aussieht: Naturkatastrophen, düstere Konzerne, die immer mehr Macht an sich ziehen…
Das Thema ist treffend und charmant umgesetzt. Auch wenn die Autorin beim Versuch, jugendliche Leser bei der Stange zu halten, ein etwas mühseliges Verwirrspiel aus Verschwörungen, mordlustigen Firmenchefs und Geheimagenten entwirft. So kommt zwar nie Langeweile auf, man verliert aber auch schnell den Überblick. Da ist es eine willkommene Abwechslung, wenn die Charaktere mal für ein paar Seiten zur Ruhe kommen. Etwa wenn Jana, die in unzähligen Welten erschossen, ertränkt oder erstochen wird und doch immer sicher in ihrer Kapsel aufwacht, über den endgültigen Tod – „das große undurchdringliche Geheimnis“ – nachgrübelt. Oder wenn sie merkt, was man verpasst, wenn man nie seine perfekte kleine Welt verlässt.