HomosexualitätBarmherzig unverbindlich? Der Papst und die Homosexuellen

Sicher, nie zuvor hat sich ein Papst so ausdrücklich positiv zur rechtlichen Situation homosexueller Paare geäußert.

Ein historischer Schritt? Oder doch nur eine der zuletzt leider allzu vielen päpstlichen Plaudereien, die folgenlos bleiben? Die jüngsten wohlwollenden Worte von Franziskus I. über Menschen in homosexuellen Partnerschaften werden ganz unterschiedlich bewertet.

Anlass für die Debatte ist ein neuer Dokumentarfilm des russischen Regisseurs Jewgeni Afinejewski, in dem sich der Papst erstmals für zivilrechtliche Lebenspartnerschaften gleichgeschlechtlicher Paare ausspricht. Wörtlich sagt er: „Homosexuelle Menschen haben das Recht darauf, in einer Familie zu sein. Sie sind Kinder Gottes… Was wir brauchen, ist ein Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft; dadurch sind sie rechtlich abgesichert.“ Aufgenommen wurde die Szene bereits im letzten Jahr. Warum sie erst jetzt öffentlich wird, ist unklar.

Viele Kommentatoren feierten die Äußerungen als „sensationell“, als „kopernikanische Wende“, so etwa der Journalist Dominik Straub, Italien-Korrespondent für mehrere deutschsprachige Zeitungen. Die „Frankfurter Rundschau“ widmete der päpstlichen Wortmeldung sogar die Titelseite, verbunden mit der Überschrift: „Und sie bewegt sich doch“. Gemeint war die katholische Kirche, die sich bislang vehement gegen jede Form gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft stemmt. So heißt es im Katechismus nach wie vor, dass homosexuelle Handlungen „in sich nicht in Ordnung sind“. Menschen mit dieser sexuellen Orientierung seien „zur Keuschheit gerufen“. Auf der politischen Ebene tritt die Kirche allen Bestrebungen für eine Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe massiv entgegen. Und auch zu den aktuellen Äußerungen gab es Kritik von konservativ-traditionalistischer Seite. Der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller etwa, früherer Chef der Glaubenskongregation, warf Papst Franziskus vor, „große Verwirrung“ gestiftet zu haben. „Er sollte vorsichtiger sein.“

Aber will Franziskus I. überhaupt eine Neubewertung anstoßen, im Sinne dessen, was die Wissenschaften vom Menschen schon lange offengelegt haben? Dass sich nämlich nahezu niemand die sexuelle Veranlagung ausgesucht hat, sondern dass sie ihm und ihr gegeben ist.

Sicher, nie zuvor hat sich ein Papst so ausdrücklich positiv zur rechtlichen Situation homosexueller Paare geäußert. Gerade sein Amtsvorgänger, Benedikt XVI., hatte als Präfekt der Glaubenskongregation einst eine scharfe gegenläufige Formulierung veröffentlichen lassen: „Nach der Lehre der Kirche kann die Achtung gegenüber homosexuellen Personen in keiner Weise zur Billigung des homosexuellen Verhaltens oder zur rechtlichen Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften führen.“

So gesehen, hat die Papst-Aussage tatsächlich eine neue Qualität. Aber wird sie auch etwas bewirken? Bereitet Franziskus I. einer Neuausrichtung der Lehre den Weg? Oder schlägt er nur einen neuen Ton an, um die Kirche in einer zunehmend säkularen Öffentlichkeit in einem „moderneren“ Licht erscheinen zu lassen? Politisch vergibt er sich mit der Wortmeldung jedenfalls nichts. Denn in immer mehr Ländern werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften der Ehe rechtlich gleichgestellt – ganz egal, was die Kirche davon hält und dazu sagt. Die einzig spannende Frage ist, ob Papst Franziskus die Lehre der Kirche in diesem Punkt erneuern will. Der Journalist Thomas Jansen formuliert es in der „Frankfurter Allgemeinen“ so: „Franziskus muss den Katechismus ändern. Andernfalls können alle Dokumentarfilme dieser Welt nichts mehr daran ändern, dass er ein Papst der barmherzigen Unverbindlichkeit bleibt.“

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