Die Funktionen des Christusbildes hat Johannes Damascenus (um 650–ca. 750) einst ganz knapp beschrieben: „Erinnern, erfreuen, trösten, bis Er wiederkommt“. So einfach machen es uns heutige Theologen nicht. Die Beiträge der 13 Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind in die Kapitel „Bild und Liturgie“, „Bild und Lehre“ und „Bild und säkularisierte Kultur“ gegliedert.
Nicolas Ozoline erläutert die Bildwelt der Ikonen und der Wand- und Deckenmalerei orthodoxer Gotteshäuser als Bild der Kirche in der Gemeinschaft der Heiligen, als Ort des Gedächtnisses der Heilstaten Gottes und als kosmisches Weltbild. Für die Liturgie des lateinischen Westens stellt Thomas Lentes fest, „dass die Bildpräsenz im liturgischen Raum und liturgische Performanz gänzlich getrennte Wege gehen“. Man könnte auch sagen: Bilder stellen Laien ruhig, die bei der Eucharistiefeier seit dem frühen Mittelalter nichts zu sagen, nichts zu tun, ja nicht einmal etwas zu hören hatten, weil der Text vom Zelebranten lateinisch flüsternd gelesen wurde. Die Laien, auch wenn sie den Altar und die Messe gestiftet haben, konnten nur zuschauen. Aber die Bilder Christi, weinender oder jubelnder Engel und Heiliger zeigten ihnen in ihren Mienen, mit Tränen, Lachen, Freude, mit ihrer Haltung und Gestik Ergriffenheit, Mitgefühl, Andacht und Reue, als Vorbeter, in der Skulptur des Barock sogar als Vorturner.
Als „Bildappelle an die Nachwelt“ deutet Ulrich Rehm Epitaphien und Grabbilder des Mittelalters. Johannes Rauchenberger behandelt Orte des Bildes im katholischen Kirchenraum, Thomas Erne im evangelischen Kirchenraum. Rauchenberger weist auf zahlreiche aktuelle Begegnungen von Kunst und Kirche hin und zitiert mehrfach Hermann Glettler, Bischof von Innsbruck, der als Pfarrer in Sankt Andrä in Graz seine Kirche weit geöffnet hat: „Das Andere und den Anderen, das Unerwartete und den Unerwarteten, das Fremde und den Fremden so weit wie möglich ansehen, aushalten und wertschätzen lernen – dafür ist die zeitgenössische Kunst eine unersetzliche Schule.“
Im zweiten Kapitel „Bild und Lehre“ behandelt François Bœspflug das Verhältnis von Dogmen und Bildern. Damit Dogmen nicht „blind“ bleiben, brauchen sie Bilder. Er geht damit den Weg, den Alex Stock in seiner elfbändigen „Poetischen Dogmatik“ gegangen ist, in umgekehrter Richtung: nicht von Bild, Lied, Hymnus, Lyrik zum Dogma, ein Weg, welcher der Kunst Poetik (wörtlich: Kraft des Machens) zugesteht. Sondern hier geht es um eine Bebilderung von zuvor Ausgedachtem, Niedergeschriebenem. „Formen und Funktionen des Bildes im Katechismus“ von Isabelle Saint-Martin und „Religionsunterricht in Deutschland“ von Claudia Gärtner (leider bildlos) weisen auf Probleme der Bilddidaktik im Religionsunterricht hin. Reinhold Zwick erinnert an die Filmkunst, besonders den Bibelfilm als „Ausdrucksgestalt der kulturellen Kreativität der christlichen Religion“, die missionarisch wie religionskritisch wirken kann.
Der dritte Teil „Bild und säkularisierte Kultur“ könnte der aktuellste sein. Er behandelt die Prozesse der Säkularisierung von Jan van Eyck bis Mark Rothko (Richard Hoppe Sailer), Blasphemie und Kitsch. François Bœspflug deutet das Bild des gekreuzigten Gottes als globalisiertes Emblem der Revolte gegen das Leid und Anklage gegen Ungerechtigkeit. Die Bilder der Werbung und der digitalen Medien kommen nicht zur Sprache.
Was fehlt sonst in diesem materialreichen Werk? Es fehlt der im ersten Band angedeutete Ansatz von Heinrich Rombach: Bilder schützen vor Wirklichkeit. Es fehlen Votivbilder und Bilder der ewigen Anbetung, in denen Bilder, Figuren aus Wachs oder Silber, Marmorbüsten oder gemalte Portraits die Gläubigen vor dem Altar oder dem Gnadenbild dauernd vertreten. Es fehlen Angst und Schrecken ebenso wie der Trost, den Bilder vermitteln. Es fehlt der Blick eines Ethnologen wie Wolfgang Brückner, von dem Kunstgeschichte und Theologie gleichermaßen profitieren können. Fazit: Das Handbuch der Bildtheologie ist ein wertvolles wissenschaftliches Werk, das man auch ganz anders hätte machen können.