Man kann verstehen, dass die heilige Edith Stein nach der Lektüre dieser Autobiografie in einer einzigen Nacht endgültig für Christus gewonnen war. So originell und lebendig, so unmittelbar und reflektiert beschreibt Teresa von Ávila darin ihren Glaubensweg – auf Geheiß ihrer Beichtväter und im dauernden Bewusstsein der Bedrohung durch die Inquisition. Bis nach Teresas Tod durften nur ausgewählte, theologisch gebildete Männer darin lesen, ihren Mitschwestern war es nicht erlaubt. In einer beispielhaften Aktion hatte der Verlag Herder nach dem Gesamtwerk von Johannes vom Kreuz auch Teresas Schriften als Taschenbücher veröffentlicht, glänzend neu übersetzt und sehr gut kommentiert. Nun wird Teresas Erstling – eine der großen Autobiografien der Christenheit – in schön gedruckter Hardcover-Ausgabe präsentiert, unverändert in der damaligen Übersetzung, gekürzt um das Personen- und Ortsverzeichnis und ergänzt durch 23 Abbildungen von spätbarocken Kupferstichen.
Derselben Prozedur wurde Teresas geniale Anleitung zum inneren Beten unterworfen. Dieser „Weg der Vollkommenheit“ – der Titel stammt nicht von Teresa – ist schon deshalb wichtig, weil er just das gängigste mündliche Gebet zum Muster einer sich stets vertiefenden kontemplativen Gottesbeziehung nimmt, das Vaterunser. Teresa wehrte sich zeitlebens gegen eine Abwertung des schlichten Betens gegenüber irgendeiner Art von „mystischer“ Erhebung. Das Werk liegt in zwei Fassungen vor, die im Detail manches über Teresas Entwicklung verraten, vor allem über die Ängste der Inquisition. Die erste Fassung – im Codex von El Escorial erhalten und wohl 1566 geschrieben – gibt lebendigen Einblick in das Glaubensleben des jüngst erst gegründeten Reformklosters in Ávila.
Wohl schon 1567 schrieb Teresa eine zweite Fassung, die im Original im Karmelitinnenkloster von Valladolid aufbewahrt wird. Was brachte sie dazu? Offenkundig wollte sie ein größeres Publikum ansprechen und nahm deshalb Anpassungen an die großkirchliche Wetterlage vor. Die Rolle der Beichtväter zum Beispiel, auch die Dynamik des Gebetslebens werden neu akzentuiert, und die berühmte Klage über die Männerkirche ist der Zensur zum Opfer gefallen.
Beide Fassungen liegen in derselben Übersetzung schon in der schönen Freiburger Dünndruck-Gesamtausgabe von 2015 auf Deutsch vor. Nachdem der Escorial-Text seit längerem als Taschenbuch zugänglich ist, wird hier nun die Ausgabe der Valladolid-Fassung unverändert als eigener Band in Hardcover mit dem sehr guten Kommentar zugänglich gemacht. Die auch diesem Band beigegebenen Kupferstiche von Anfang des 18. Jahrhunderts mögen zwar frömmigkeitsgeschichtlich interessant sein, aber die frische Originalität und die prophetische „Gefährlichkeit“ Teresas für heute wird dadurch altertümelnd eher verstellt. Zu unterschiedlich sind die spirituellen Leitbilder und Vorverständnisse von damals und heute. Wenn schon Bebilderungen, dann doch bitte solche, die schöpferisch verfremden und ärgerlich anstiften, oder wenigstens mehr hermeneutische Übersetzung! Warum war Teresa denn zu Lebzeiten durchaus so umstritten, und was hätte das heute zu sagen?
Leider ist wichtige Sekundärliteratur der letzten zwanzig Jahre nicht eingearbeitet, und an manchen Stellen der hervorragenden Kommentare samt wichtigem Glossar bleiben Fragen offen. Wenn Teresa etwa von ihren deutlich magersüchtigen Praktiken schreibt, begnügt sich der Kommentar auch in der neuen Ausgabe unbekümmert mit dem alten Hinweis: „Die Natur des täglichen, willentlich herbeigeführten Erbrechens erscheint rätselhaft.“ Dabei wäre an solchen Stellen markant über den ebenso schwierigen wie wichtigen Zusammenhang von Krankheit, Gesundheit und Heiligkeit nachzudenken – und in die Glaubensschule einer solch prophetischen Frau in der Männerkirche zu gehen.