Wer bringt theologisch schon Himmel und Hölle mit Erotik zusammen? Wer die Erfahrung von Gnade mit dem modernen Pilgern und dem Körper? Oder das Weltbevölkerungs- und Verstädterungsthema mit Fluch und Segen? Der Salzburger Theologe Hans-Joachim Sander ist in seiner „Dogmatik“ für eine Menge solcher Überraschungen gut. Die üblichen Traktate (Schöpfung, Anthropologie, Gnade/Erlösung, Eschatologie) stehen zwar kundig im Hintergrund, werden aber kräftig aufgemischt und neu formatiert. Das ist höchst originell und anstiftend.
In erfreulicher Konsequenz geht der Autor vom universalen Heilswillen Gottes aus, also von Trauer und Hoffnung jedes Menschen und der Menschheit. Immer ist (mit dem Theorie-Hintergrund von Foucault und anderen) die Frage nach Macht und Ohnmacht leitend – und die hat ihren Ort überall dort, wo wir anderen und anderem begegnen. Denn da machen wir uns abhängig und geben uns Blößen – und wir begegnen unserer Selbstgerechtigkeit. Die eine Reaktion darauf wäre angsthafte Selbstverschließung und Abschottung mit Gewalt(steigerung). Die andere ist Annahme und Mit-Teilung. Nur in Letzterem wird die Kraft christlichen Glaubens lokalisierbar: „das Überschreiten der Macht zur Stärkung der Ohnmächtigen und das Überschreiten der Ohnmacht zum Widerstand gegen die Gewalt“.
Im Mittelpunkt steht bei Sander also nicht, wie bisher fast immer, die Wer- oder Was-, sondern die Wo-Frage. Deshalb der Untertitel: Es geht um die Anders-Orte, an denen sich Glaube als Glaube überhaupt erst zeigt und bewährt. Schöpfung zum Beispiel ist angesichts der Übermacht und Ambivalenz der Natur (Corona!) als hoffnungsstarkes Tatwort zu buchstabieren. Räume sind dabei nicht vorfindliche Container, sie sind sozial produziert und haben offenbarende, aufschließende Macht.
So ist Theologie wirklich mitten in den Zeichen der Zeit und vor Ort. Wie spannend hier die Lesarten biblischer Basistexte, etwa der Genesis, wie hilfreich historische Rekonstruktionen, wie naheliegend die Bezüge zu brennenden Welt- und Lebensproblemen! Gut, im Einzelnen wäre viel zu diskutieren, aber Ansatz und Durchführung versprechen viel auch für die drei geplanten Folgebände.
Wenn nur die eigenwillige und oft apodiktische Fachsprache nicht wäre! Das beeindruckende Buch liest sich selbst für Fachtheologen nicht leicht. Wunderbar klare und entschiedene Einzelpassagen stehen in einem Gesamtrahmen, der noch leserfreundlicher vermittelt werden müsste (bis hin zu Hervorhebungen, Merksätzen, Glossaren und Registern). Und ein kräftiges Lektorat müsste helfen, bloß selbstbezüglichen Jargon aus der bisweilen notwendigen Fachsprache herauszufiltern. Es wäre jammerschade, wenn der gewaltige Ertrag solcher Arbeit in den Schubladen lesegeduldiger Spezialisten verschwände. Oder beschenkt uns der Autor noch mit einer Neufassung für den interessierten Laien?