In der Corona-Krise zeigen sich deutlich die Schwächen von Globalisierung und Kapitalismus, sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in der „Welt“. „Der freie Welthandel und Lieferketten haben ihre Vorzüge, aber es kann nicht sein, dass sie uns in Abhängigkeiten bringen, dass in Deutschland die Grundstoffe für Antibiotika fehlen.“ Jetzt räche es sich, zu sehr auf billigere ausländische Importe vertraut und „im Globalisierungsrausch verlernt zu haben, Vorsorge zu treffen“. Es sei an der Zeit, „den Schock der Pandemie zu nutzen, damit das Schwungrad des Kapitalismus und der Finanzmärkte nicht weiter überdreht“.
Der Corona-bedingte Engpass in den weltweiten Produktions- und Handelszyklen sei dabei eine gute Gelegenheit, grundsätzlich über Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte nachzudenken. So sei es „absurd, dass für Investitionen nicht mehr entscheidend ist, ob sie Fortschritt bringen, sondern ob sie den kurzfristigen Gewinn mehren“. Längerfristige Projekte, etwa als Reaktion auf die Bedrohung des Klimawandels, ließen sich so nur schwer durchsetzen. Allgemein sei es ein Fehler, den Wohlstand einer Gesellschaft nur am Steigen und Sinken des Bruttoinlandsprodukts zu messen, das nicht immer an das persönliche Glück der Bürger gekoppelt ist – „schließlich steigert jeder Autounfall das Bruttosozialprodukt, denn hinterher hat die Reparaturwerkstatt etwas zu tun“.
Mit Blick auf China hat es für Schäuble den Anschein, als ob sich autokratisch regierte Staaten schneller auf ein Leben mit der Pandemie einstellen könnten. „Corona nimmt uns Deutsche, uns Europäer einmal mehr in die Pflicht, in diesem 21. Jahrhundert zu zeigen, dass eine freiheitlich-rechtsstaatliche Ordnung das bessere Modell ist.“ Ein Übermaß an Verordnungen und Einschränkungen führe in die Diktatur, aber „wenn wir es mit der Freiheit übertreiben, dann zerstört die Freiheit sich selber“.