Petina GappahKöpfe aus der einen Welt

Petina Gappah ist eine der wichtigsten Autorinnen aus Simbabwe.

Petina Gappah, Simbabwe
Petina Gappah, Simbabwe© Foto: Getty images / Roberto Ricciuti

Auf dem Weg von der Bücherei nach Hause wurde sie als Kind einmal von einem Auto angefahren. Sie hatte im Gehen gelesen, wollte keinen Blick an die Straße verschwenden, lieber wissen, wie es in der Geschichte weitergeht. Die Bücherei hat ihr daraufhin zwar Hausverbot erteilt, ihr Wissensdurst wurde dadurch aber nicht gestoppt. Petina Gappah ist heute 48 Jahre alt und eine der wichtigsten simbabwischen Autorinnen.

Bereits im Alter von sechzehn Jahren begann sie, sich für die koloniale Vergangenheit ihrer Heimat zu interessieren. Das Schicksal einer historischen Gestalt faszinierte sie besonders: David Livingstone, ein britischer Missionar, der in die Geschichtsbücher einging als der Mann, der von seinen schwarzen Gefährten nach seinem Tod vom heutigen Sambia bis zur tansanischen Küste getragen wurde, damit er in seiner Heimat begraben werden konnte. Im Schulunterricht hörte Gappah zum ersten Mal von ihm. Insgesamt 21 Jahre arbeitete sie an einem Roman, der von ihm handelt: „Out of Darkness, Shining Light“ (Aus der Dunkelheit strahlendes Licht; S. Fischer Verlag). Kolonialismus wird darin aus einer bisher seltenen Perspektive betrachtet – aus der schwarzen nämlich. Auf einer Lesung in Freiburg sagte Gappah: „Europas Vergangenheit ist Afrikas Gegenwart.“ Und so kann auch ein Schotte, der vor über 200 Jahren geboren wurde, hochaktuell sein.

Der Roman beginnt mit dem Tod Livingstones und beschreibt den Weg mit dem einbalsamierten Leichnam. Im ersten Teil wird aus der Perspektive der Köchin Halima erzählt, Tochter einer Sklavin und von Livingstone freigekauft und eingestellt. Im zweiten Teil ist James Wainwright der Erzähler. Er wurde als Kind von seinem Onkel an arabische Sklavenhändler verkauft, von der britischen Marine befreit und zum Christentum bekehrt. Seitdem ist es sein Wunsch, Missionar zu werden, auch sein Reisebericht ist voll von religiösen Motiven und Gebeten. Livingstone soll Wainwright „Jacob, der Zelot“ genannt haben, denn er sei „eifriger als Johannes, der Evangelist“. Beide Personen sind historisch belegt, von Wainwright sind sogar Tagebuchaufzeichnungen erhalten, die Gappah in den Roman einfließen ließ. „Die Historiker haben mir die Fakten geliefert, meine Fantasie hat für den Rest gesorgt“, erklärte sie während der Lesung.

Petina Gappah ist in der damaligen britischen Kolonie Rhodesien geboren und in Simbabwe aufgewachsen. Dort spielt auch ihr erstes Buch, das auf Deutsch erschienen ist. In „Die Farben des Nachtfalters“ geht es um eine junge Frau namens Memory (Erinnerung), die in einem simbabwischen Frauengefängnis auf ihre Hinrichtung wartet und ihre Lebensgeschichte rekapituliert, um zu verstehen, was sie in diese Situation gebracht hat. Auch nach der Unabhängigkeit gilt dort eine weiße Haut noch immer als Privileg. Das Besondere an Memory ist ihr Albinismus, der sie von weitem wie eine Weiße aussehen lässt. Aufgewachsen ist sie in den achtziger Jahren in einem Township im Westen von Harare, bis sie als Neunjährige von ihren Eltern an einen Weißen namens Llyod verkauft wird. Von nun an lebt sie in einem reichen Vorort, kann eine gute Schule besuchen und ins Ausland reisen. Aber auch in diese Welt scheint sie nicht hineinzupassen, sie bleibt die „Schwarze“. Als Llyod ermordet wird, ist sie sofort Hauptverdächtige und gesteht nach mehreren Tagen Folter die Tat. Es geht um mehr als nur die Hautfarbe: Gappah zeigt in diesem Roman eine Gesellschaft, die sich zwar die Unabhängigkeit erkämpft hat, aber immer noch „alles, was von Weißen stammt, höher schätzt“. In einem Interview mit der „Zeit“ sprach Gappah von ihrer Wut, die sie in den Romanen verarbeitet: „Was mich am meisten wütend macht, ist, wie die heutige Regierung in Simbabwe den Traum der Unabhängigkeit verraten hat. Ich kann das nicht vergeben.“

Zur Literatur kam Gappah schon als Kind, allerdings nicht durch die Schule. Sie erinnert sich nur an zehn Bücher, die im Unterricht gelesen wurden, alle englandbezogen. Mit elf Jahren fing sie an, selbst zu schreiben, entschied sich aber nach der Schule für ein Jurastudium. Sie hatte ausgezeichnete Noten, konnte in Cambridge weiterstudieren und in Graz promovieren. In dem Interview mit der „Zeit“ bezeichnete sie sich als „eine intellektuelle Touristin“. Sie habe „das Glück, dass mich bisher jede Nation, in der ich gelebt habe, willkommen geheißen hat. Ob in Österreich oder England oder der Schweiz – man heißt mich willkommen für das, was ich bin und was ich kann. Ich bin da nicht wegen der politischen Situation in meinem Heimatland, ich nehme niemandem den Job weg.“ Bis 2016 hat sie in Genf als Anwältin für internationales Handelsrecht gearbeitet, heute widmet sie sich ganz dem Schreiben von Romanen und Kurzgeschichten. Sie möchte aber nicht als „afrikanische“ Autorin bezeichnet werden. „Ich bin erst im Ausland zur Afrikanerin geworden. Als ich in Graz studierte, war ich plötzlich eine Afrikanerin. Ich selbst empfand mich dort erstmalig als eine Frau aus Simbabwe. In Simbabwe aber richtet sich Heimatgefühl auf das Dorf, aus dem die Familie kommt. In Simbabwe bin ich eine Shona.“

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