250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven„Beethoven hat mit Gott um die Musik gerungen“

Das Jahr der Pandemie ist arm an kulturellen Aufführungen. Doch einer der größten deutschen Komponisten hätte im Dezember seinen 250. Geburtstag gefeiert: Ludwig van Beethoven (1770–1827). Boris Böhmann (Foto) ist Domkapellmeister am Freiburger Münster. CIG hat ihn gefragt, was Beethoven glaubte und wie das seine Musik geprägt hat.

© Bild: privat

CHRIST IN DER GEGENWART: Herr Professor Böhmann, als Beethoven 1770 geboren wurde, war Wolfgang Amadeus Mozart vierzehn Jahre alt und ein gefeiertes Wunderkind. War Mozart später auch Beethovens Vorbild?

Boris Böhmann: Beethoven schaute sicherlich zu Mozart auf. Er ist sogar nach Wien gefahren, um Unterricht bei ihm zu erhalten. Adelige Freunde haben seine Reise finanziell unterstützt. Doch Mozart war gerade mit seiner Oper „Don Giovanni“ beschäftigt.

Fand Beethoven einen anderen Meister?

Als Mozart 1791 starb, kam für Beethoven nur noch Joseph Haydn als Lehrer in Frage. Der war auch in Wien, zu ihm brach Beethoven ein Jahr später auf. Seine Heimatstadt Bonn hat er danach nicht wieder gesehen.

Wie ging es in Wien weiter?

Beethoven hatte kein musikalisches Amt. Er schlug sich als Klaviervirtuose und freischaffender Komponist durch, der musikliebende Wiener Adel förderte ihn. In Wien ist Beethoven zudem häufig umgezogen, dazu kamen etliche Beziehungen zu Frauen. Doch geheiratet hat er keine. Er glaubte an das Ideal einer „unsterblichen Geliebten“, die er aber nie fand. All das lässt ihn im Rückblick als einen immerfort Suchenden erscheinen.

War er einsam?

Er wurde mehr und mehr zum Einzelgänger, seit er mit 28 ein Gehörleiden bekam. Mit 49 war er komplett taub.

Beethoven, der Suchende. War er auch religiös auf der Suche?

Sein Glaube entwickelte sich in der Kindheit und Jugend in Bonn. Er war dort Schüler bei Christian Gottlob Neefe, dem Hoforganisten. Bald wurde er sein Vertreter im Organistenamt und im Theaterdienst. Dadurch konnte Beethoven sich mit den Gattungen der Kirchenmusik und der Theatermusik vertraut machen. Als Organist hatte er auch früh eine Nähe zur Kirche.

Was nicht heißen muss, dass er selbst religiös war.

Beethoven glaubte an Gott als den Schöpfer: im Erleben der Natur, des Alls, der Sterne. Sein bekanntes Lied „Die Ehre Gottes aus der Natur“ im Anklang an Psalm 19 zeugt vom erhabenen Charakter der Welt und der Natur als Gottes Schöpfung. Das Lied beginnt mit den Worten: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.“

Welchen Stellenwert hatte die Kirchenmusik im gesamten Werk Beethovens?

Im Verhältnis zu seinen Symphonien und seiner Kammermusik machen seine sakral-religiösen Kompositionen eher einen kleinen Teil aus.

Gibt es noch weitere Beispiele, wie Beethoven die Schöpfung musikalisch inszenierte?

Ähnlich wie in „Die Ehre Gottes aus der Natur“ ist es in der sechsten Symphonie, der „Pastoralen“. Hier malt Beethoven musikalisch ein Bild des Landlebens. Er nimmt den Besucher aus der Stadt gewissermaßen an die Hand, lässt ihn einen Tag in der Natur erleben. Insbesondere der zweite Satz, die „Szene am Bach“, ist ein Tongemälde. Da wird der Friede in der von Gott erschaffenen Natur zum Ausdruck gebracht. Die Szene gipfelt in den berühmten musikalisch umgesetzten Vogelrufen von Nachtigall, Wachtel und Kuckuck.

Beethoven hat auch Messvertonungen komponiert…

Ja, Beethovens erste Messe in C-Dur aus dem Jahr 1807 war ein Auftragswerk. Fürst Nikolaus Esterhazy bestellte die Messe zum Namenstag seiner Frau – so wie er es zuvor bei Joseph Haydn gemacht hatte. Nach der Uraufführung war Fürst Nikolaus jedoch von Beethovens Werk enttäuscht. Er hatte wohl eine Messe erwartet, wie er sie von Haydn gewohnt war. Beethoven lieferte jedoch eine durchaus „un-erhörte“ Vertonung des Messtextes.

Was war daran so neu?

Beethoven brachte in der C-Dur-Messe eher sein persönliches religiöses Empfinden zum Ausdruck, anstatt ein in sich geschlossenes Ganzes zu schaffen. Mozart und Haydn haben ihre Messen bei aller Meisterschaft immer auch stellvertretend für das gläubige Volk geschrieben. Dagegen setzte sich Beethoven sozusagen allein mit den kirchlichen Glaubensaussagen auseinander. Er hat mit Gott um die Musik gerungen.

Merkt man das seiner Musik an?

Beethoven betonte zum Beispiel einzelne Textsätze und sogar Wörter, scheinbar aus Willkür. Dadurch gab er ihnen eine eigene Bedeutung.

Musik als etwas Höchstpersönliches?

Genau, und damit war Beethoven auf der Höhe der Zeit. Im Idealismus vollzog sich ein Umbruch, sei es in der bildenden Kunst oder auch in der Musik. Das Kunstwerk löste sich von seinem ursprünglichen Zweck zur Andacht und zur Erbauung der Menschen. Es wurde eigenständig. Beethoven waren die Gedanken der Aufklärung und des Idealismus sehr nah. Die Musik dieser Zeit nennt man „Wiener Klassik“.

Ein Schlüsselwerk dieser Epoche ist Beethovens Missa solemnis. Ähnelt sie der C-Dur-Messe?

In der C-Dur-Messe war die Konzentration auf einzelne Sätze oder Wörter an manchen Stellen noch eine ungewohnte Neuerung. Für die Missa solemnis erhob Beethoven diese Betonung und Versenkung in einzelne Worte nun zum Prinzip seiner Komposition. Das ganze Werk ist davon durchzogen. Deshalb ist es auch so lang, eine Aufführung dauert siebzig bis achtzig Minuten. Als Musik für einen Gottesdienst ist das natürlich zu ausufernd. Beethoven wollte die Messvertonung aber ohnehin aus dem liturgischen Kontext herauslösen.

Was heißt das konkret?

Seine Messen sind nicht nur für den Kirchenraum komponiert, sondern auch für den Konzertsaal. Bei Mozart und Haydn war das noch anders. Ihre Werke waren erdacht als liturgietaugliche Kunstform zur Andacht der gläubigen Gemeinde. Beethovens zwei Messkompositionen stehen für den Wechsel hin zum selbstständigen, funktionsfreien Kunstwerk. Ich meine, gerade so können seine Messen fragende und suchende Menschen individuell zum Glauben, zu Gott führen.

Ist Beethovens Musik nur etwas für professionelle Chöre? Oder gibt es auch Stücke, die eine Pfarrgemeinde mit begrenzten Möglichkeiten aufführen kann?

Gute Laienchöre können Beethovens Kirchenmusik bewältigen. Eine gewisse und gefürchtete Sonderstellung nimmt die Missa solemnis ein. Hier werden die Chorsänger an ihre stimmlichen Grenzen geführt.

Interview: Jonas Mieves

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