Wir müssen nur empfänglich werden für eine immer wieder verschüttete und doch nie ganz erstickte Sehnsucht unseres Herzens, die tiefer reicht als alle List, sich selbst zu schützen. Dann sind wir schon echt adventliche Menschen, die Gott wirklich auf sich selbst zukommen lassen und eine harrende Frage für ihn haben; Menschen, die Gottes dämmerndes Antlitz nicht bloß in der Vergangenheit, sondern auch in der eigenen Zukunft suchen (und die gerade in ihr den Gott ihrer frühen Geschichte finden).
Und dann werden wir auch eine Witterung für Gott haben in dem, was als Schicksal eines reifen Lebens noch auf uns zukommt: das Dunkle des Schmerzes und der Einsamkeit; die Nacht der bitteren Enttäuschungen, der alle geträumten Sterne vom Himmel fallen; die brennende Leere des Verzichtes und des nie vergoltenen Gutseins.
All das, was uns die vertrauten Horizonte nimmt, die Festungen unserer bürgerlichen Sicherheit schleift und uns den Boden entreißt, werden wir als Gestalten des sich nahenden Gottes erfahren. Und so wird unser Glaube zu jenem Glauben werden, den Gott am liebsten hat: zur Hoffnung als der wehrlosen Ergriffenheit vom ankünftigen Gott. Zu jener wahrhaft evangelischen „Armut im Geiste“, die täglich neu vom bitteren Brot eines unverfügbaren Willens lebt; die sich nicht tausend Brücken baut aus den schmerzlichen Ausweglosigkeiten ihres Lebens zurück in ein fragloses „im Geiste reiches“ Dasein, sondern Gott, den Geheimnisvollen, wachsen lässt in der stillen Bedürftigkeit des Herzens. Und die gerade dadurch stark genug ist, die Angst von unseren Herzen zu nehmen und so die tödliche Wunde unserer Zeit zu heilen.
Denn alle Verzweiflung, aller Ekel und alle Angst kommen letztlich nicht aus zuviel Ausweglosigkeit und Vergeblichkeit in unserem Leben, sondern aus einem Übermaß an Geheimnislosigkeit. Nur die Armen besitzen das Geheimnis der Hoffnung. Ihrer ist das Himmelreich (vgl. Mt 5,3).
Wenn wir in solcher „Hoffnung der Armen“ das Abenteuer des letzten göttlichen Advents immer schon wagen lernen, es gleichsam einüben im heiligen Experiment des Glaubens, dann werden auch wir in der Tiefe unseres Herzens – dort, wo wir uns selbst nicht mehr anblicken und uns nur im Schweigen ertragen können – etwas kosten vom weihnachtlichen Glück unseres adventlichen Lebens.
Johann Baptist Metz in: „Gott in Zeit“, Gesammelte Schriften Bd. 5, hg. von Johann Reikerstorfer (Verlag Herder, Freiburg 2017)