Der Himmel weint, als die Mitglieder der Synodalversammlung den Tagungsort verlassen. Im Regen machen sich viele auf zur nahen S-Bahn-Station Konstablerwache, direkt an Frankfurts zentraler Einkaufsmeile Zeil gelegen. Sie müssen sich an den vielen Shoppingfans vorbeidrängen, die an diesem Samstagmittag die Innenstadt bevölkern. Vorbei auch an dem Straßenmusiker, der am Treppenabgang zur S-Bahn steht und seinem Saxophon wehmütige Klänge entlockt: „Should auld acquaintance be forgot“ – Nehmt Abschied, Brüder, ungewiss ist alle Wiederkehr…
Wer will, kann in dieser Szene etwas Symbolhaftes sehen. In die Tristesse der Konsumwelt hinein hätten Christen durchaus etwas zu sagen. Zum Beispiel dass man Sinn und Glück woanders findet. Dass es am Ende eben nicht darauf ankommt, was man hat oder kaufen kann. Doch wer will die Stimme der Kirche im Augenblick hören? Insbesondere Katholiken strahlen ja schon seit längerem wenig von der Freude des Evangeliums aus. Priester, Laien, Gemeinden – alles im Niedergang. Dass dann noch der Skandal sexueller Gewalt hinzukam, hat die Glaubwürdigkeit fast vollends zerstört. „Wir sehen, dass es für viele Menschen die Kirche selbst ist, die das Bild Gottes verdunkelt.“ Diese deprimierende Einsicht steht in der Satzung des „synodalen Wegs“, der einen Neuanfang bringen soll. Bevor die Kirche also überhaupt wieder daran denken kann, nach außen zu wirken, muss sie sich erstmal (weiter) mit sich selber beschäftigen. Auf zwei Jahre ist dieser Gesprächsprozess angelegt. Ausgang, nun ja, wie es das Lied des Straßenmusikers sagt, ungewiss.
Geholpert hat es von Anfang an. Der „synodale Weg“ sei „aus Ratlosigkeit entstanden“ und „unter Qual geboren“ worden, schrieb der Journalist Matthias Drobinski in der „Süddeutschen Zeitung“. Das ist – leider – richtig beobachtet. Denn nicht alle deutschen Bischöfe waren überzeugt davon, dass es Handlungsbedarf gibt. Wenn überhaupt, so hätten sie lieber über andere Themen gesprochen als darüber, ob es katholisch-systemische Faktoren gibt, die den sexuellen Missbrauch begünstigt haben und nach wie vor begünstigen. Selbst Papst Franziskus bremste. In einem Brief mahnte er letzten Sommer, das pilgernde Volk Gottes in Deutschland solle ja nicht zu weit gehen. Der „synodale Weg“ müsse in Einklang mit der Weltkirche erfolgen. Vor allem habe man sich mehr um eine neue Glaubensverkündigung zu kümmern, als sich an Strukturen abzuarbeiten. Die konservativen Reformkritiker, die, anders als die deutliche Mehrheit der Bischöfe und Laien, jegliche substantielle Veränderung ablehnen, fühlten sich dadurch bestärkt. Und so hatte Kardinal Reinhard Marx alle Mühe, die Bischofskonferenz zusammenzuhalten.
Worüber stimmen wir gerade ab?
Immerhin ließen sich schließlich doch alle auf den Prozess ein, manche freilich nur unter Vorbehalt. Nach einem symbolischen Auftakt zu Beginn des Kirchenjahres (vgl. CIG Nr. 48/2019, S. 526) ging es nun mit der ersten Vollversammlung eigentlich erst richtig los. Die 230 Geistlichen und Laien verständigten sich auf eine Geschäftsordnung und bestimmten jeweils 35 Teilnehmer für die vier Synodalforen. Diese Untergruppen sollen in den nächsten Monaten zur Gewaltenteilung in der Kirche, zum Priesterbild, zur Rolle der Frau und zur kirchlichen Sexualmoral arbeiten. Ihre Vorlagen werden bei der nächsten Plenarsitzung im September diskutiert und später bei weiteren Treffen gegebenenfalls beschlossen. Außerdem bekamen die Mitglieder der Synodalversammlung zu hören, was die Vorbereitungsgruppen zu den vier Foren bisher bewerkstelligt haben und welche Eingaben das Kirchenvolk dazu gemacht hat.
Was sich in der Zusammenfassung so klar und kompakt liest, ist das Ergebnis eines intensiven und komplizierten Ringens. Um im Bild zu bleiben: Nein, die erste Etappe des „synodalen Wegs“ war wahrlich kein Spaziergang, sondern eher eine anstrengende Bergtour. Mühsam, ja nervenaufreibend war etwa, wie sich die Teilnehmer anfangs in der Geschäftsordnung verhakten. Voller Optimismus – oder muss man sagen: blauäugig? – hatte das Präsidium bloß sechzig Minuten für diesen Tagesordnungspunkt angesetzt. Das jedoch reichte bei weitem nicht. Stunde um Stunde zog sich die Beratung hin. Sicher, ohne Geschäftsordnung geht es nicht. Sie ist die Grundlage dafür, dass in den nächsten zwei Jahren vernünftig gearbeitet werden kann. Aber irgendwann sehnte man sich doch danach, endlich etwas wirklich Inhaltliches zu hören: zur Zukunft des Glaubens, zur Gottesfrage, zur Sprachfähigkeit der Kirche, überhaupt zu den Reformthemen. Stattdessen wurde unter anderem diskutiert, ob an einer Stelle der Begriff „Beobachtung“ glücklich gewählt ist, oder ob es nicht besser „Begleitung“ heißen müsste.
Manchmal war es unübersichtlich, geradezu chaotisch. Über was stimmen wir im Augenblick ab? Über die bisherige Form der Geschäftsordnung? Über den eingebrachten Änderungsantrag? Oder über die Empfehlung der Antragskommission dazu? Das war nicht immer jedem klar. Es gab Wortmeldungen, Rede und Gegenrede, Abstimmungen, die Wiederholung von Abstimmungen… „Das ist auch nicht anders als auf einem Grünen-Parteitag“, meinte ein Beobachter auf der Pressetribüne trocken. In jedem Fall machte dieser Auftakt offenbar, wie ungeübt die katholische Kirche mit synodalen Prozessen ist. Auch eine Erkenntnis.
Synodalität braucht Übung
Selbst bei diesen überwiegend formalen Fragen zeigte sich im Übrigen schon die ganze Polarisierung – und damit die Brisanz des „synodalen Wegs“. Gleich der erste Änderungsantrag forderte nicht weniger als eine „Überarbeitung der Satzung und Geschäftsordnung“, weil beides den Antragstellern zu wenig partizipativ, gleichberechtigt und transparent vorkam. Eine Fundamentalkritik von links gewissermaßen, die durchaus Richtiges benannte. Bei den Verhandlungen zwischen Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken war tatsächlich nicht immer ersichtlich, wer warum in welches vorbereitende Forum berufen worden war. Wäre der Beschwerde jedoch stattgegeben worden, hätte dies die ganze Veranstaltung an den Rand des Scheiterns gebracht. Immerhin: Das Präsidum sagte zu, für mehr Transparenz und Ausgewogenheit bei der Zusammensetzung der Foren zu sorgen.
Massiv war auch ein Vorstoß von der anderen Seite. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer trug ein vorbereitetes Statement vor, in dem er Schlüsse aus der großen Missbrauchs-Studie von 2018 anzweifelte. Es sei unwissenschaftlich und eine Projektion, wenn man aufgrund der vorhandenen Daten davon ausgehe, dass die „katholischen Spezifika“ als solche – Voderholzer nannte „Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, katholische Sexualmoral und eine Machtkonzentration auf Männer“ – hauptursächlich für die sexuelle Gewalt seien. Bevor man fortfahren könne, brauche es erst einmal zusätzliche, auch vergleichende Studien über andere gesellschaftliche Bereiche. Dieser Sicht schlossen sich zwar einige Synodale an. Sie stellten deshalb aber nicht die Veranstaltung insgesamt infrage. Veränderungen in der kirchlichen Praxis seien selbst dann dringend erforderlich, wenn man den Missbrauchsskandal nur als Auslöser und nicht als Ursache der Krise begreife, so der Tenor.
Kritik am „Alphabet“
Insbesondere konservative Teilnehmer versuchten, über Änderungsanträge zur Geschäftsordnung die Veranstaltung zum Kippen zu bringen oder zumindest auf ihre Seite zu ziehen. So brachte der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki mit vier weiteren Bischöfen das Ansinnen ein, die Öffentlichkeit, auch die Medien, von den Beratungen ausschließen zu können. Dieser Vorstoß wurde abgelehnt, weil er der bereits gültigen Satzung widersprochen hätte. Derselbe Kreis stellte auch den Antrag, dass Beschlussvorlagen abzulehnen seien, „wenn mindestens vier Personen dagegen sind oder ein Widerspruch zwischen der Textvorlage und der Lehre der Kirche vorliegt“. Eine solche Sperrminorität für die Foren lehnte die Versammlung mit mehr als 85 Prozent ab.
Es wurde aber wieder deutlich, dass es eine Minderheit von Bischöfen und einigen Laien gibt, die nach wie vor nicht ihren Frieden mit dem „synodalen Weg“ gemacht hat. Sie zeigten während der Sitzungen mehrfach ihr Desinteresse, ihren Unmut darüber, hier sein zu müssen, und ließen auch hinterher kein gutes Haar an der Veranstaltung. „Es sind eigentlich alle meine Befürchtungen eingetreten“, sagte etwa Woelki. Selbst die Sitzordnung im Dominikanerkloster kritisierte er. Dass die Teilnehmer so nebeneinander platziert wurden, wie ihre Namen im Alphabet aufeinanderfolgten, war für ihn unzulässige Gleichmacherei. Damit werde der Eindruck erweckt, dass Bischöfe und Laien gleich seien – „und das hat eigentlich nichts mit dem zu tun, was katholische Kirche ist und meint“.
Es bleibt abzuwarten, wie sich dieser Konflikt weiterentwickelt. Ungut ist jedenfalls, wenn unterschwellig immer die Drohung mitschwingt, dass ein kleiner Teil der Anwesenden gleich aufstehen und den Saal verlassen könnte. Er müsse sich doch für das einsetzen, was er als richtig erkannt habe, hat Woelki soeben im Interview mit der „Herder Korrespondenz“ bekundet. Er sehe seine Aufgabe in erster Linie darin, „die Einheit mit dem von den Aposteln überkommenen Glauben der Kirche zu wahren und dafür Sorge zu tragen, dass dieser Glaube unverkürzt und in seiner Ursprünglichkeit auch an die kommenden Generationen weitergegeben wird“. Dass er damit faktisch allen, die nicht seiner Überzeugung sind, das Katholischsein abspricht, klingt nicht sehr dialogbereit. Zu fragen wäre außerdem, ob nicht genau das der so gefürchtete Sonderweg ist, sich gegen den von einer überwältigenden Mehrheit mit guten theologischen Argumenten festgestellten Veränderungsbedarf zu stellen.
Der ersehnte Priester
Deutlich angemessener war der Beitrag des Erfurter Philosophen Eberhard Tiefensee. Eindringlich rief er die Synodalen auf, den Ernst der Lage zu erkennen. Man dürfe sich nicht davon ablenken lassen, dass es immer noch Positives in der Kirche gebe. Jetzt sei die Zeit, sich den Wunden zu widmen, diese genau anzusehen „und danach erst in die Dogmatik-Lehrbücher zu schauen“. Tiefensee bezog sich mit seiner Aussage konkret auf das Priesterbild, sie kann jedoch genauso für den „synodalen Weg“ als Ganzen gelten. Die Teilnehmer, so Tiefensee, sollten „das Unvorstellbare denken – das ist Metanoia“, also die Umkehr, die erforderlich ist.
Womit wir beim Inhaltlichen wären. Das gab es – allen Verzögerungen und Verschiebungen zum Trotz – dann doch auch. Und hier blitzte auf, warum es zu früh wäre, mit Blick auf den Reformdialog alle Hoffnung fahren zu lassen. Es war nämlich durchaus beeindruckend, wie ernsthaft und tiefschürfend sich die Versammlung austauschte, etwa über „die priesterliche Existenz heute“.
Wie bei jedem der vier Foren war dem Bericht über die vorbereitende Arbeit ein Schlaglicht auf die Rückmeldungen der Gläubigen vorgeschaltet. In diesem Fall trug Arno Zahlauer, Priester des Erzbistums Freiburg, vor, was in etwa 3000 Eingaben zu diesem Thema formuliert wurde (insgesamt gab es im Vorfeld mehr als 6000 Wortmeldungen). Zahlauer begann mit einer schmerzlichen Leerstelle. Denn bei den Zuschriften fehlte „völlig“ eine Erinnerung an die kirchliche Jugendarbeit, positive Erfahrungen mit Vikaren oder Kaplänen also – weil es diese schlichtweg fast nicht mehr gibt. Allein das müsste Alarmsignal genug sein, dass hier dringend etwas zu tun ist: dass es mehr Berufungen braucht beziehungsweise dass man den derzeitigen Ausschluss von Berufungen (wegen des Geschlechts, wegen des Familienstands) überdenkt.
Denn Priester sind nötig. Sie werden vermisst. Dies hat Arno Zahlauer in ganz vielen Eingaben gelesen und gespürt. „Beeindruckend ist, wie sehr Priesterpersönlichkeiten wertgeschätzt und geradezu ersehnt werden.“ Die Gläubigen wünschen sich echte Seelsorger, die sich um die Menschen kümmern und sich nicht in Bürokratie und Kleinkram verzetteln müssen. Priester sollen ansprechbar sein. Zudem sollen sie sich „nicht in einer frommen Blase“ bewegen, sondern offen sein für das, was sich in anderen Bereichen des Lebens tut. Sie sollen „die Gemeinde intellektuell fordern können“, zitierte Zahlauer aus den Einsendungen.
Hoch geschätzt wird in den – freilich nicht repräsentativen – Zuschriften auch das geistliche Leben der Priester und die ehelose Lebensform, der Zölibat. Am Priester werde „glaubhaft, dass jemand mit Gott lebt und was diese Gemeinschaft für eine Liebe schenkt“. Durch das Zeugnis seiner ganzen Hingabe könne ein Priester „die Menschenfreundlichkeit Gottes ausstrahlen“. Eine knappe Mehrheit der Zuschriften habe sich dennoch dafür ausgesprochen, den Zölibat freizustellen, ihn nicht für alle zur Verpflichtung zu machen. „Mitunter wird auch gefragt, ob nicht eine christlich gelebte Ehe gegenwärtig größere Strahlkraft haben könnte als ein zölibatäres Leben.“
Auch die folgende Aussprache war von Nachdenklichkeit und großer Sympathie für Priester geprägt. Alle, auch die Laien, bekannten sich dazu, an einem positiven Bild dieses Amts arbeiten zu müssen. Priester dürften weder idealisiert noch überfordert werden. Was hilft dabei, diesen Beruf, diese Lebensform zu realisieren?
Solche inhaltlichen Sternstunden stimmten versöhnlich. Vielleicht kann es ja doch etwas werden mit dem „synodalen Weg“! Zweifellos ist es ja schon wertvoll, dass sich hier alle begegnen und in welcher Offenheit miteinander gesprochen wird. Bischöfe, die sich auf den Prozess einlassen, dürften davor gefeit sein, sich Illusionen über die Lage zu machen – dies ist bekanntlich der erste Schritt, um etwas zu verändern.
Gefordert: Theologische Stärke
Natürlich wurden auch die Schwächen des „synodalen Wegs“ offenkundig. Selbst wenn während des Prozesses keiner ausschert, kann es sein, dass man am Ende mit leeren Händen dasteht: wenn Beschlüsse nicht von zwei Dritteln der Bischöfe angenommen werden, wenn ein einzelner Bischof in seiner Diözese nichts davon wissen will oder wenn Rom bei weltkirchlich relevanten Fragen „Nein“ sagt – um nur einige der Fallstricke zu nennen. In jedem Fall haben die Kleriker das letzte Wort. Im katholischen System, wie es sich derzeit darstellt, geht das gar nicht anders, so der Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke auf dem Portal „feinschwarz.net“.
Auch der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding räumte ein, dass sich der „synodale Weg“ auf juristisch nicht definiertem Gelände bewegt. Dies könne man jedoch auch als Chance begreifen. Das Format müsse seine kirchenrechtlichen Defizite durch theologische Stärke ausgleichen. Das trifft es genau. Der „Weg“ mag nicht perfekt sein. Aber es gibt eben derzeit kein anderes, kein besseres Format. Es gilt, das Beste damit zu machen.
Ob das am Ende gelingt? Die Erwartungen an den „Weg“ sind hoch. Ob sie zu hoch sind – etwa wenn von der „letzten Chance“ für die Kirche hierzulande geschrieben wird –, wird sich zeigen. Nach der ersten Synodalversammlung lässt sich jedenfalls sagen: Noch ist die Chance nicht vertan.