Loben wir doch einmal den Tag vor dem Abend. Sagen wir ihm: Sei gegrüßt, Bote Gottes, kleines Kind der Ewigkeit unseres Gottes. Sei gelobt, Stückchen Zeit, das kommt, um nicht anders unterzugehen, wenn es Abend ist, als in der Ewigkeit Gottes. Sei gelobt, Tag, an dem ich ein wenig abzahlen kann an den Schulden des Herzens und der Liebe, die ich bei anderen habe. Sei gerühmt, kleiner Garten der Zeit, in dem wir – mag kommen, was mag – Glaube und Liebe, die Frucht der Ewigkeit ernten können. Sei herzlich willkommen, du kleiner armer Tag, ich werde dich zu einem kleinen Kunstwerk machen, zu einem seligen, ernsten Spiel des Lebens, worin alles mitspielt: Gott, die Welt und mein Herz. Meint ihr nicht, dass man den Tag am Abend sicher wird loben dürfen, wenn man ihn so betend am Morgen vor Gott gelobt hat?
Karl Rahner (1904–1984) in: „Von der Kraft, täglich neu zu beginnen“ (Matthias Grünewald, Ostfildern 2020)