Lerne fragen, flehen, drängen, ans Fenster klopfen. Lerne beten. Verlange. Sei nicht matt, gelassen, vage, sei heftig, bewegt, wachsam, anrührbar. Verlange leidenschaftlich nach der Wirkung des Heiligen Geistes: dass der Name Gottes, der Befreiung und Liebe bedeutet, Wirklichkeit werde in Menschen.
„Lerne still sein, lerne nichts tun, lerne warten. / Das Geheimnis aller Starken war von jeher, / dass sie langer Tragezeiten harrten.“ Das sind Verse der niederländischen Dichterin Henriëtte Roland Holst (1869–1952). Mit „nichts tun“ meint sie: Zügle deinen „Tatendrang“, der oft von blindem Eifer, von unreifen besten Absichten und von Leistungssucht herrührt. Lerne, nicht einzugreifen, nichts zu erzwingen, nichts zu forcieren. Lerne, Menschen ihre Grobheit und Selbstsucht zu vergeben. Lerne zu warten, manchmal ist jemand plötzlich nicht selbstsüchtig, sondern weit und lieb. Und lebe so, dass jemand nachts an deiner Tür und deinem Fenster anzuklopfen wagt.
Beten heißt: langer Tragezeiten zu harren. Beten heißt: die Vision lange zu tragen sowie das Misslingen, die Schande, die Schuldenlast, die wiegt und wiegt, die Sünde, die mitgetragen, fortgetragen werden soll, weg-gelebt.
Huub Oosterhuis in: „Du – nur du – immer du“ (Patmos, Ostfildern 2020)