Ab 2. März erkunden Historiker die Archive des Vatikan, um Aufschluss über die Amtszeit von Papst Pius XII. zu erhalten. Dieses Ereignis komme einem wissenschaftlichen „Eldorado“ gleich, meinte der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf in der „Süddeutschen Zeitung“. Die ersten Forscher – insgesamt rund siebzig aus aller Welt – möchten Licht in die Rolle jenes Papstes bringen, in dessen Pontifikat die tragischen und erschütternden Ereignisse des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs fielen. Was wusste die Kurie wann von der Ermordung der Juden, und wie hat sie reagiert? Das seien zentrale Fragestellungen. „Die ganze Welt hofft hier auf Antworten. Warum schrieb Pius XII. deutschen Bischöfen 1942, wo er schreien müsse, sei er zum Schweigen verpflichtet? Was hat er damit genau gemeint?“
Wolf will, auch in Zusammenarbeit mit jüdischen Wissenschaftlern, etwa zwei Jahre lang mit einem Team „Probebohrungen vornehmen“. Das sogenannte Apostolische Vatikanische Archiv, früher päpstliches Geheimarchiv genannt, enthalte mehr als 200000 Akteneinheiten mit bis zu tausend Blättern. Darin inbegriffen sind Texte und Notizen aus der Kurie und den Nuntiaturen. Hinzu kämen beipielsweise der Privatnachlass von Pius XII. sowie die Archive der Glaubenskongregation und des Staatssekretariats.
Aufschlüsse erhofft sich Wolf auch über brisante Fragen von überregionaler Bedeutung, deren Antworten bisher im Dunkeln liegen: Warum hat der Vatikan die Gründung des Staates Israel 1948 nicht gleich anerkannt? Wie stand der Papst „zur Gründung der CDU“ in Deutschland, immerhin ein Zusammenschluss von Katholiken mit „häretischen“ Protestanten? Wie beurteilte er die „europäische Einigung“? Weshalb unterstützte der Vatikan die Flucht von Nazis nach Lateinamerika? Sensationelles erwartet der Kirchenhistoriker allerdings weniger. Aber: „Wir stellen offene Fragen – und müssen mit allen Antworten rechnen.“