Sachliche Islamkritik: Erwünscht

Auch in der islamischen Welt ringt man um ein modernes Glaubensverständnis, wie Beispiele aus Ägypten zeigen.

Ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, konnte bislang nicht abschließend geklärt werden. Fakt ist, dass einige Millionen Muslime im Land leben. Rechte Parteien polarisieren gern gegen den Islam als angeblich primitive Religion, die Gewalt verherrliche und Andersgläubige unterdrücke. Pauschalitäten und kollektive Feindbilder „helfen“ bekanntlich, in der gegenwärtigen Umbruchszeit Sinn und Identität – und Wählerstimmen – zu sichern. Dennoch ist sachliche Kritik am Islam durchaus angebracht, wie zuletzt der Soziologe und Migrationsforscher Ruud Koopmanns angemahnt hat. Der Wissenschaftler sorgt sich: „In einer muslimischen Minderheit von rund vier Prozent der Bevölkerung in Deutschland neigen rund 30 Prozent dem Fundamentalismus zu.“

Das Desinteresse an der „Unterdrückung von religiösen Minderheiten, Glaubensabtrünnigen, Frauen und Homosexuellen in der islamischen Welt ist erschütternd“, sagte Koopmanns der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“. Er beobachte „eine starke Tendenz in der Politik und in den Medien, die Bedeutung von Religion für diese Probleme zu leugnen“. Der Wissenschaftler forderte deshalb, dass gerade reformorientierte Muslime mehr Unterstützung erhalten sollten. Diese gebe es „in islamischen Ländern und in Deutschland ... Sie haben es nicht leicht.“ Der Fundamentalismus habe in vielen muslimisch geprägten Ländern die Demokratie „schon unterminiert oder abgeschafft“.

Hoffnung auf eine liberalere Auslegung des Islam verschafft derzeit etwa Ägypten. Dort befindet sich mit der Al-Azhar-Universität in Kairo eine herausragende Glaubensautorität für sunnitische Muslime. Forscher dieser Einrichtung haben kürzlich den Onlinehändler Amazon kritisiert, weil dieser radikal-islamische Bücher vertreibe. Am Beispiel der Kairoer Gelehrten ist zu erkennen, dass auch bedeutende Institutionen des Islam einen wachen Blick für Grenzen der religiösen Meinungsfreiheit haben.

Darüber hinaus forderte der Großscheich der Al-Azhar-Moschee, Ahmad Mohammad Al-Tayyeb, von reformorientierten Islamwissenschaftlern eine Erneuerung der Religion. Al-Tayyeb ist eine wichtige Führungspersönlichkeit im sunnitischen Islam. Vor einem Jahr unterschrieb er zusammen mit Papst Franziskus eine gemeinsame Erklärung zur „Geschwisterlichkeit aller Menschen“. Es gelte, so erklärte Al-Tayyeb nun, unzeitgemäße Formen des Glaubens hinter sich zu lassen. Ebenso dürfe der Islam aber nicht verfälscht werden, merkte er laut der Onlinezeitung „Egypt Today“ an.

Stimmen wie die aus Ägypten zeigen, dass Muslime sehr wohl und ähnlich wie viele Christen derzeit darum ringen, ihren Glauben einerseits als kostbares Gut zu bewahren – und andererseits für die Anforderungen von heute zu öffnen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine generelle Verunglimpfung von Muslimen eher als Hindernis auf dem Weg zu einem ausgewogenen Verhältnis zum Islam.

Ruud Koopmans bezeichnet sich selbst als „nicht islamfeindlich, sondern islamkritisch“. Von Thesen wie denen Thilo Sarrazins grenzt er sich ab. „Ich glaube an die Reformfähigkeit des Islam“, unterstreicht der Migrationsforscher.

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