Der ins Leben geworfene Mensch ist erfinderisch, um seine Ängste in Schach zu halten. Wie aber umgehen mit der Unberechenbarkeit und Ungewissheit, die als ungebetene Gäste die ersten Schritte im neuen Jahr begleiten? Aushalten ist eine Möglichkeit, wenngleich wenig spektakulär und überdies anstrengend. Auf Gott vertrauen ist immer richtig. Doch das archaische Erbe ragt noch in unsere Zeit hinein. So lieben auch Christen familiär überlieferte Riten, um das neue Jahr mit einem guten Gefühl zu beginnen. Sie tun das mit einem Augenzwinkern. Denn meist sind die Rituale nicht mehr als ein Spaß. Doch gab es Zeiten, in denen manche Neujahrsbräuche als Gefahr für den Glauben angesehen und vom Klerus bekämpft wurden.
Bischof Burchard von Worms (950–1025) fuhr in seinen Dekreten schweres Geschütz auf, um abergläubische Neujahrsbräuche auszurotten. Einen anonymen Sünder herrschte er stellvertretend für alle Gläubigen an: „Du hast den ersten Januar nach dem Ritus der Heiden begangen, so dass du wegen des neuen Jahrs mehr als vorher getan hast:
Du hast nämlich deinen Tisch zu der Zeit in deinem Haus entweder mit Steinen oder Speisen präpariert, in den Dörfern und auf den Straßen Sänger und Chöre angeführt oder auf dem Dach deines Hauses in einem Kreis gesessen, den du mit deinem Schwert gezogen hast, um zu erkennen, was dir im folgenden Jahr bevorsteht.
Du hast auf einem Kreuzweg auf einer Stierhaut gesessen, damit du dort erkennst, was dir bevorsteht.
Du hast Brot in besagter Nacht in deinem Namen backen lassen, damit du, wenn es gut aufgehen und dick und hoch werde, daraus Wohlergehen in deinem Leben in diesem Jahr voraussiehst.
Da du deswegen deinen Schöpfergott verlassen, zu Götzenbildern und jenen Wahnvorstellungen dich gewandt hast und Abtrünniger geworden bist, musst du zwei Jahre lang an den gesetzlichen Feiertagen Buße tun.“
Solche Strafen braucht heute niemand mehr zu fürchten, der in der Neujahrsnacht etwa auf den Schutz des vierblättrigen Klees gesetzt hat. Doch weist die Philippika des Wormser Bischofs auf eine christliche Tugend hin, die vielleicht im heutigen Glaubensalltag in den Hintergrund getreten ist: die Unterscheidung der Geister.