Dass Bibel und Liturgie zusammengehören und sich wechselseitig erschließen, ist grundsätzlich bekannt und bewährt, aber in der heutigen Praxis dennoch fast verloren gegangen. Diesem Notstand wirkt dieses empfehlenswerte Buch schon dadurch entgegen, dass es die Verstehens- und Übersetzungsprobleme klar benennt und analysiert. Die biblischen Texte aller Sonntage des Lesejahrs B, das mit dem ersten Advent begonnen hat, werden jeweils in ihrem Gesamtzusammenhang betrachtet und einfühlsam erschlossen.
Das Markus-Evangelium als Angelpunkt dieses Lesejahrs hätte zwar gern noch mehr exegetische Achtsamkeit verdient – zum Beispiel in Form von Martin Ebners sozialgeschichtlich-politischer Auslegungsperspektive. Aber der pastoral und liturgisch erfahrene Schweizer Theologe Stephan Schmid-Keiser schafft es in jedem Fall, das sonntägliche Gesamtkunstwerk der Lesungstexte jeweils genau zu würdigen und so auch Rundung und Resonanz im ganzen Jahreskreis mitvollziehbar zu machen. Für alle, denen an Gestalt(ung) und Mitvollzug des Gottesdienstes liegt, ist dieses Buch hervorragende Handreichung und Pflichtlektüre. Auch die ökumenische und interreligiöse Perspektive eröffnet neue Horizonte, und die abschließenden Reflexionen zur Gottesrede heute, zumal angesichts des Bösen, treffen einen Nerv. „Welcher ‚Gott‘ zeigt sich in den biblischen Texten?… Wie kommt in den Lesetexten die Erfahrung von Sinn und Transzendenz zur Sprache?“ Solche Leitfragen bringen existentielle und auch gesellschaftliche Themen mit liturgischen Vollzügen und biblischen Texten schöpferisch zusammen – gemäß dem goldenen Wort von Gregor dem Großen: „Die göttlichen Worte wachsen, indem sie gelesen werden, denn jeder begreift sie umso tiefer, je mehr er sich in sie vertieft“ – und sich vertiefen lässt.