Es gab keinen Sprit mehr. Der Generator stand still. Das Krankenhaus in Kikwit, Demokratische Republik Kongo, hatte keinen Strom. Ngalula Sandrine Mubenga, damals 17, wartete verzweifelt auf ihre dringend benötigte Operation. Ihr Blinddarm hatte sich entzündet, das Organ musste schnellstmöglich raus. Drei lange Tage schwebte das Mädchen in Lebensgefahr, drei Tage musste sie Schmerzen ertragen, die eigentlich unerträglich sind. Dann konnten die Ärzte den rettenden Eingriff vornehmen. In Kikwit, einer Stadt mit geschätzt 300000 Einwohnern, gibt es Strom nur stundenweise. Ein stabiles Stromnetz fehlt. In der Demokratischen Republik Kongo gibt es viele Städte wie Kikwit.
„Die Erfahrung im Krankenhaus hat mich motiviert, Elektro-Ingenieurin zu werden“, sagt Ngalula Mubenga heute. „Ich habe um mein Leben gebangt, ich hätte jederzeit sterben können. Seitdem wollte ich Ingenieurin werden, damit Orte wie Kikwit endlich verlässlich Zugang zu Elektrizität haben.“ Ngalula Mubenga wurde 1980 in Kinshasa geboren, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Ihr Vater war Diplomat bei den Vereinten Nationen, die Familie lebte verhältnismäßig privilegiert. Mit 18, ein Jahr nach ihrem Erlebnis im Krankenhaus von Kikwit, entschied sich die junge Frau für eine Ausbildung an einer technischen Universität. Nach einem Vorbereitungsjahr in ihrer Heimat reiste sie 1999 in die Vereinigten Staaten von Amerika und begann ihr Studium an der Universität von Toledo im Bundesstaat Ohio.
Sandrine Mubenga, sie bevorzugt jetzt einen westlich klingenden Vornamen, ist mittlerweile ausgebildete Elektro-Ingenieurin und Professorin. Sie lehrt an der Universität von Toledo, wo sie vor 21 Jahren ihre Ausbildung begann. Doch ihre Kindheit in Afrika hat sie nicht vergessen – im Gegenteil. Vergangenen Sommer bekam sie einen einflussreichen Posten in ihrer Heimat: Sandrine Mubenga wurde Generaldirektorin der Regulierungsbehörde für die Stromversorgung in der Demokratischen Republik Kongo. Seit ihrer Kindheit hat sich dort nicht allzu viel verändert. Korrupte Politiker und Wirtschafts-Bosse halten die Bevölkerung bettelarm. Auf dem Entwicklungs-Index der Vereinten Nationen kam das Land vor zwei Jahren auf Platz 179 von 189 Staaten.
Jetzt ist Sandrine Mubenga für das Stromnetz ihrer Heimat verantwortlich. „Die Elektrifizierungsrate im Land beträgt nur zehn Prozent“, sagte sie neulich gegenüber „Vatican News“. Die Weltbank geht von doppelt so viel aus, aber das wären immer noch nur zwanzig Prozent. Die Elekrifizierungsrate umfasst den Anteil der Einwohner, die einen gesicherten Zugang zu Strom haben. Sandrine Mubengas Aufgabe ist es, „günstige Bedingungen im Elektrizitätssektor zu schaffen, um die Elektrifizierungsrate zu erhöhen.“ Dazu muss man wissen: Lange hatte die „Société nationale d’électricité“ – in der Demokratischen Republik Kongo spricht man Französisch – als staatlicher Stromversorger ein Monopol. Jetzt ist der Stromsektor liberalisiert, andere Stromversorger drängen auf den Markt. „Was bei dieser Liberalisierung fehlte, war die Gründung unserer Behörde“, sagt Sandrine Mubenga. Sie verantwortet die Erzeugung, Übertragung, Verteilung, Vermarktung sowie den Import und Export von Strom. Das politische Ziel: Bis 2024 soll die Elektrifizierungsrate auf dreißig Prozent steigen, dann hätte ein Drittel der geschätzt hundert Millionen Einwohner Zugang zum Stromnetz. „Wir arbeiten daran“, weicht die Elektro-Ingenieurin kritischen Fragen nach ersten Erfolgen aus.
Doch Sandrine Mubenga kämpft nicht nur als Behörden-Chefin für die Stromversorgung in ihrer Heimat, sondern auch als Geschäftsfrau. 2011 hat sie die „SMIN Power Group“ gegründet. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Ohio, seit 2013 gibt es einen Ableger in Kinshasa. Die „SMIN Power Group“ will vor allem abgelegene Dörfer mit Elektrizität versorgen, die der staatliche Versorger bislang außer Acht gelassen hat. Der Schwerpunkt liegt dabei auf erneuerbaren Energien, etwa Solar-Technik, eines von Sandrine Mubengas Forschungsgebieten als Professorin an der Universität von Toledo. Kontrolliert sich die Powerfrau als Behörden-Chefin und Geschäftsfrau also selbst? Im August gab die „SMIN Power Group“ immerhin bekannt, dass Sandrine Mubenga vom Chefposten zurücktritt, um ihrem öffentlichen Amt nachzugehen.
Seit ihrer Ernennung zur Strom-Wächterin war sie allerdings noch gar nicht in der Demokratischen Republik Kongo. Die Pandemie hindert sie am Reisen, sie arbeitet für ihre afrikanische Heimat aus ihrer Wahlheimat Amerika. „Das ist die Realität, in der sich die Welt befindet. Einige Leute dachten, eine physische Präsenz in Kinshasa sei notwendig, um die Dinge in Gang zu bringen. Ich wollte das Gegenteil zeigen, denn wir müssen diese Mentalität ändern“, hat sie dazu erklärt. Aus der Ferne kämpft Sandrine Mubenga gerade auch für mehr Beatmungsgeräte für Corona-Patienten in der Demokratischen Republik Kongo. „Es hat mich wirklich erschreckt, dass es im ganzen Land nur 200 Beatmungsmaschinen gibt.“