Peter SloterdijkReligion kann nur Religion sein, wenn sie „sinnlos“ ist

Früher brauchten die Menschen Religion im Alltag, heute hat der Staat viele Funktionen übernommen. Ein Glück, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk. Endlich kann sich Religion auf den Kern des Glaubens konzentrieren.

Gerade weil die Religion von der Armenfürsorge bis zur Grabpflege so viele ihrer Tätigkeitsfelder an staatliche Institutionen ausgelagert hat und auch für viele Gläubige zur Privatangelegenheit geworden ist, kann sie zum ersten Mal in der Geschichte wirklich frei sein. Davon ist der Philosoph Peter Sloterdijk überzeugt. „Es gibt eigentlich nichts mehr, was die Religion für sich alleine hat, nicht einmal die Totenfeier“, sagte er in der „Augsburger Allgemeinen“. „Sie braucht zu nichts mehr gut zu sein, sie muss nicht mehr funktionieren, sie hat keinen gesellschaftlichen Funktionsauftrag, der nicht auch anders wahrgenommen werden könnte. Diese erhabene Sinnlosigkeit und Undienlichkeit des religiösen Empfindens ist der Grund ihrer Freiheit.“

Bisher sei es immer die Aufgabe der organisierten Religion gewesen, ein Gefühl von Gemeinschaft herzustellen, die Bevölkerung auf gemeinsame ethische Maßstäbe einzuschwören. Auch mit Einführung der Religionsfreiheit nach Ende des Dreißigjährigen Krieges sei „zunächst nicht die Freiheit des stillen Kämmerleins gemeint gewesen“. Sondern die Freiheit, sich zu gemeinsamen öffentlichen Kulten zu versammeln. Abkehr von solchen Glaubensbezeugungen galt als „Hochverrat an der Gemeinschaft“. Dass es, besonders in der islamischen Welt, noch immer Länder gibt, die den „Abfall vom Glauben“ unter Todesstrafe stellen, ist für Sloterdijk eine Folge dieses Denkmodells einer Religion als gemeinschaftsstiftendes Element. „Doch nichts ist so absurd wie der Zwang, einer Bekenntnisgruppe anzugehören.“

Frei von allen gesellschaftlichen Funktionen kann sich die Religion im Westen jetzt endlich auf ihren innersten Wesenskern beschränken: „auf das Staunen des Lebens angesichts seiner eigenen Existenz. Mehr kann die Religion nicht verlangen. Sie sollte es auch nicht.“ Während die Naturwissenschaften immer mehr Lücken in der Evolutionstheorie schließen und immer besser erklären können, wie intelligentes Leben „von unten“ aus einzelnen Zellwesen entstanden ist, ist auch die Frage nach einer göttlichen Schöpfung noch immer lebendig. „Das menschliche Phänomen bleibt so unwahrscheinlich, dass eine Erklärung von oben gar nicht so abwegig ist.“

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