Es ist der 16. April, der SWR überträgt aus der Kirche Sankt Johannes Evangelist in Tübingen live die Trauerfeier für Hans Küng. „Er konnte ja nur noch halbe Sätze andeuten. Aber als ich das Vaterunser begann…“, jetzt stockt die Predigt, Pfarrer Wolfgang Gramer holt tief Luft. Einen Moment bleibt die Zeit stehen. Und weiter: „… betete er laut und deutlich mit, vom ersten bis zum letzten Wort.“
Detailverliebter Freigeist
Es war eine berührende Feier. Küngs Schüler trugen Gebete vor, die er selbst verfasst hatte. Das Grab auf dem Tübinger Stadtfriedhof neben seinem Freund Walter Jens hatte Küng schon vor Jahren ausgesucht, seinen Sarg aus Kirschholz auch, die Musik sowieso. „Bis ins Detail geplant“ nannte das der SWR. So war der gebürtige Schweizer, katholische Priester und Tübinger Theologieprofessor: entschieden und klar. Selbstbezogen – würden seine Kritiker sagen. Das trifft es aber nicht, weil Küng immer die Weite suchte, im Glauben, im Denken, auch mit seinem interreligiösen Weltethos-Projekt.
Ob man Küng schätzte oder nicht, eins konnte man ihm nicht absprechen: Er hat ganze Generationen nachhaltig neugierig gemacht auf das Höchste, das Tiefste unserer Existenz, auf Gott. Küng habe ihm aus einer Glaubenskrise geholfen, sagte etwa Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei der Trauerfeier, an der auch sein Vorgänger Erwin Teufel und Oberbürgermeister Boris Palmer teilnahmen. Wäre keine Pandemie, hätten Hunderte Hans Küng zum Grab begleitet. Nun waren nur ein paar Dutzend Gäste erlaubt. Und Ortsbischof Gebhard Fürst? Der fehlte.
Keiner gibt sich einen Ruck?
Dass Küng ausgehend von der Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit in einen zähen Streit mit der Amtskirche geriet, hat ihn nur vordergründig kalt gelassen. Eigentlich litt er daran, dass ihm die Anerkennung als „römisch-katholischer“ Theologe bis zum Tod verwehrt blieb, nachdem der Vatikan ihm 1979 die Lehrerlaubnis entzogen hatte. In Interviews hat er das hin und wieder durchblicken lassen. 2005 sah es kurz nach einer Versöhnung aus, als Küng den neu gewählten Papst Benedikt XVI. besuchte, seinen ehemaligen Kollegen an der Tübinger theologischen Fakultät. Mit Papst Franziskus entstand ein Briefwechsel, den Küng als „so etwas wie eine informelle Rehabilitation“ deutete. Eine amtliche Versöhnung mit dem Vatikan gab es jedoch nie, das haben seine Weggefährten zuletzt nochmal klargestellt. Das Thema habe Küng „bis zum Schluss beschäftigt“, sagte Stephan Schlensog von der Weltethos-Stiftung.
Hätte es da nicht selbstverständlich sein müssen, dass ein Bischof ihm die letzte Ehre erweist? Ihm, diesem störrischen und doch ganz großen Gottsucher und Hirten, der im Priestergewand bestattet wurde? Es wäre zwar nur ein Zeichen gewesen, aber was für eins! Wie traurig, dass sich keiner auf den Weg gemacht hat.