Fragen an Ingrid FischerTheologie für die Gegenwart

Was beschäftigt Lehrerinnen und Lehrer der Theologie? In dieser Reihe antworten Theologinnen und Theologen aus verschiedenen Fachrichtungen und Hochschulen, was sie persönlich und im Beruf bewegt.

© Foto: Stefanie Jeller_Erzdiözese Wien

Was ist Ihr Lieblingsort?

Ganz ehrlich? Die Altwiener Wohnung, in der mein Mann und ich, zumal jetzt, einen Großteil unserer Zeit verbringen, Seite an Seite arbeiten, miteinander genießen, uns erholen – und die wir nach der Pandemie auch wieder oft und gerne mit Familie und Freunden teilen werden.

Woran forschen Sie gerade?

An der Entwicklung unterschiedlichster Formate der Tagzeitenliturgie.

Mit welcher Person aus Gegenwart und/oder Geschichte würden Sie gern einmal diskutieren? – Worüber?

Zum Beispiel mit Gustav Mahler über Partikularität und Universalität in Religion, Kunst und Gesellschaft. Oder auch mit Sr. Teresa Forcades darüber, wie sie ihre humanbiologisch-medizinischen Erkenntnisse theologisch fruchtbar macht, etwa im Konzept einer „queer“ gedachten Trinität…

Meine aufregendste Bibelstelle...

„Männlich und weiblich schuf er sie“ (Gen 1,27) – da jeder Mensch männliche und weibliche Anteile in sich trägt. Gibt es über die vielbeschworene Bipolarität hinaus Potential für eine inklusive Schöpfungstheologie, die Zwischentöne anerkennt und würdigt?

Mein „Herzens“-Gebet...

... ist die dritte Antiphon der Karsamstag-Laudes im Benediktinischen Antiphonale Münsterschwarzach: „Dein Antlitz werde ich schauen, und wenn ich erwache, satt mich sehn an deiner Gestalt“ (Ps 17,15).

Was ist für Sie das drängendste theologische Problem der Gegenwart?

Die Theologie macht mir wenig Probleme – wohl aber der Klerikalismus und auch die Argumentationsfigur „göttliches Recht“, insofern sie theologisch wie human- und naturwissenschaftlich für den Machterhalt unbequeme Erkenntnisse zu unterdrücken, negieren oder ignorieren hilft. Ein Problem ist außerdem, dass es in unserer Kirche an maßgeblichen Stellen immer noch wenig (für mich wahrnehmbare) Diskussions-, geschweige denn Konfliktkultur gibt.

Welchen Atheisten schätzen Sie?

Auf überzeugte Atheisten bin ich bisher selten gestoßen… Aber doch: Albert Camus. Mein liebster Agnostiker und Religionskritiker war mein Vater, der mir als Sozialdemokrat und Humanist ein Doppeltes vermittelt hat: vom Menschen groß zu denken und seine Freiheit hochzuhalten. Je älter ich werde, desto dankbarer bin ich für diese Prägung.

Wann waren Sie zuletzt im Kino? In welchem Film?

Vor ziemlich genau 25 Jahren, in „The English Patient“.

Und im Theater?

„Zazà“ von Ruggero Leoncavallo im wunderbaren Theater an der Wien, zwischen zwei Lockdowns im September 2020.

Wer ist Ihr Lieblingsdichter/-schriftsteller?

Nikos Kazantzakis, weil er ernst macht, um seine Ideale ringt, sich ent-täuschen lässt. Wenn es um Poesie geht, denke ich spontan an Huub Oosterhuis.

Welche Musik hören Sie gern?

Singen noch viel lieber als hören! Also alle geistliche Chormusik, die ich in fast 40 Jahren Kirchenchor gesungen habe und die immer eine unerschöpfliche Quelle meiner liturgisch geformten Spiritualität war und bleibt. Besonders liebe ich Heinrich Schütz, Carlo Gesualdo da Venosa, Henry Purcell, Anton Bruckner; außerdem weltliche Renaissance-Musik, Gustav Mahler, Tango und Fado…

Welches nicht-theologische Buch lesen Sie momentan?

Petra Morsbach, „Der Elefant im Raum. Über Machtmissbrauch und Widerstand“. Und parallel Manfred Flügge, „Stadt ohne Seele“ (Wien 1938).

Und welches theologische Werk?

Zuletzt: Hubert Wolf, „Der Unfehlbare“, und Peter Schäfer, „Kurze Geschichte des Antisemitismus“.

Wer ist Ihr theologisches Vorbild?

Meine Hochachtung haben alle Theologinnen und Theologen, die ihrem Gewissen folgend zu denken wagen, wohin Gottes Geist sie führen will – vielleicht sogar in Neuland? Die Weichenstellung und Begeisterung für mein Fach verdanke ich meinem Lehrer Hansjörg Auf der Maur (gestorben 1999) und nicht weniger meinem Mann, Professor für Liturgiewissenschaft an der Universität Regensburg, dessen Überzeugungen sich in meinem beruflichen und persönlichen Leben auf Schritt und Tritt bewahrheiten: Informierte Theologie generiert Freiheit. Erkenntnis mit sachlicher und historischer Tiefenschärfe relativiert die Normativität des Faktischen, ermächtigt zu eigenem Urteil und bewahrt davor, das je Heutige, Gestrige oder Vorgestrige mit der Tradition der Kirche zu verwechseln.

Welcher Kirchenbau, welcher Kirchenraum gefällt Ihnen am besten?

Die Anastasis in Jerusalem, wo sich ungeschönt, fast tröstlich zeigt, wie sehr die christlichen Kirchen selbst noch der Erlösung und Versöhnung bedürfen! Sprechende Räume, in denen das historische oder gegenwärtige gottesdienstliche Leben greifbar wird: Basiliken wie Santa Sabina oder San Clemente in Rom, romanische Dorfkirchen in Burgund; die Seminarkirche in Hildesheim nach ihrem Umbau.

Was – wo – war Ihr schönstes Gottesdiensterlebnis?

Da gibt es viele! In meiner Jugend: das freitägliche Gebet vor dem Kreuz in Taizé; später jeder Gottesdienst, mit dessen biblischen und liturgischen Texten ich durch die wöchentlichen Chorproben schon im Voraus vertraut bin und die mir daher besonders nahegehen; 2014 und 2015, den Todesjahren meiner Eltern, waren dies die musikalischen Exequien von Heinrich Schütz zu Allerseelen. Die Feiern der Hohen Woche im Schottenstift in Wien, vor allem die nach dem Benediktinischen Antiphonale gesungenen „Trauermetten“ – und natürlich die vom Dunkel ins Licht gefeierte Ostervigil…

Wovor haben Sie Angst?

Beängstigend finde ich gegenwärtige gesellschaftliche und politische Entwicklungen, die im Großen wie im Kleinen zu Entsolidarisierung, (Gruppen-)Egoismen und zur Erosion soziokultureller Errungenschaften führen.

Worauf freuen Sie sich?

Ernsthaft: auf das Eschaton (auf die Letzten Dinge; d. Red.)!

Vielen Dank für Ihre Antworten.

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Ingrid Fischer

Wissenschaftliche Assistentin bei den Theologischen Kursen (Österreich), dort Studienleiterin für Liturgiewissenschaft, Kirchengeschichte, Humanwissenschaften und Ethik sowie Programmleiterin der Akademie am Dom in Wien. Nach dem Studium der Psychologie und Humanbiologie (Promotion 1984) Tätigkeit in der Sozialberatung sowie mehrjährige Familienzeit; von 1995 bis 2001 Theologiestudium an der Universität Wien und Einstieg in die theologische Erwachsenenbildung; Promotion (Liturgiewissenschaft) 2012. Überzeugt von der guten Verträglichkeit von Glaube und Erkenntnis, ist ihr primäres Anliegen die für einen mündigen Glauben fundamentale theologische Erschließung liturgischer Ausdrucksformen in Geschichte und Gegenwart, der auch die Redaktionsarbeit für die Fachzeitschrift „Heiliger Dienst“ zugutekommt.

Aktuelle Veröffentlichungen: „Stunde der Wahrheit? Reflexionen über liturgische Erfahrungen der Covid-19-Zeit, in: „Schriften der Katholischen Privat-Universität Linz“ (2021). „,Ihr seht selbst, in welchem Elend wir sind…‘ (Neh 2,17). Orte der Klage in der Liturgie“, in: „Communio“ (2021). „Heilsvollmacht & Herrschaftswissen. Liturgie und Geschlecht in liturgiewissenschaftlicher Perspektive“, in: „Theologie der Liturgie“ (Regensburg 2021). „Welche Bibel hören wir im Gottesdienst?“, in: „Bibel und Kirche“ 75 (2020). „Weit öffne deinen Mund... ! Liturgische Psalmodie und Leiblichkeit“, in: „Theologie der Gegenwart“ 63 (2020). „Diener am Heiligtum. Alttestamentliche Typologien in den römischen Ordinationsgebeten“, in: „Heiliger Dienst“ 74 (2020). „Liturgische Bildung – mehr als ein Minderheitenprogramm?, in: „Heiliger Dienst“ 73 (2019).

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