Mit überraschenden Deutungen erschließt Gerhard Lohfink manche sperrigen Texte. Immer wieder rückt der Autor dabei die Gemeinde in den Mittelpunkt seiner Auslegungen und Überlegungen. So bezieht er die Armen der Bergpredigt auf die Jüngergemeinde und lässt in der Eucharistiefeier, der Feier der befreienden Erinnerung, die Gläubigen Maß nehmen an Wort und Tat Jesu für ihr Leben.
Wertvolle Anregungen gibt Lohfink auch im zweiten Teil „Festzeiten und Feste“, indem er bekannte Texte neu zu sehen hilft. So beschreibt er etwa „Naherwartung“ als das ständige Kommen Gottes in die Welt. Umkehr, so zeigt er, ist etwas anderes als gute Vorsätze, und die Heilandsklagen am Karfreitag „sind ein Ringen um die Kirche“ und um uns. Die Emmausgeschichte kann als ein Prozess des Glaubenlernens begriffen werden, und das Wirken des Geistes ist sichtbar in der christlichen Gemeinde. Für die Gemeinde als Tempel Gottes (1 Kor 3) verweist er auf die Vorgeschichte der Kritik an Tempel- und Opferkult in Israel. Ist uns bewusst, fragt Lohfink, dass das Fest Allerheiligen früher am heutigen Dreifaltigkeitssonntag, und zwar als Gedächtnis aller heiligen Märtyrer gefeiert wurde? Der König Christus stirbt am Kreuz und lässt aus seinem Tod sein Volk entstehen. Und, so fragt er am Schluss: „Brennen unsere Lampen noch, wenn der Bräutigam kommt?“
Ein breites Panorama unterschiedlicher Texte fasst Lohfink im dritten Teil unter der Überschrift „In der Freude des Glaubens“ zusammen. Dass Freude bei der Begegnung mit Jesus die Antriebskraft zur Umkehr ist, zeigt gleich die bekannte Geschichte mit dem Zöllner Zachäus. Stets zieht er dabei die Linie aus auf Kirche und Gemeinde. In ihr findet für ihn das Entscheidende statt: Umkehr und Nachfolge Jesu. Eine andere wiederkehrende Linie ist die vom Gottesvolk Israel zur Kirche und zu Jesus, in dem sich das Schicksal Israels verdichtet und die Erwählung Israels in seiner Person zur Erfüllung kommt. In ihm zeigt sich, dass das Volk Gottes „Werkzeug göttlichen Handelns in der Welt“ ist.
Anregend sind Lohfinks Gedanken zum „Gesetz des Überflusses“ als Grundgesetz der Heilsgeschichte, und zur „Biologie des Reiches Gottes“ in den Gleichnissen: Sie nehmen den Stoff der Welt und verwandeln ihn. Gewalt und Fluch, Krankheit und Schuld sind weitere Themen, die behandelt werden, wobei Lohfink die Sünde als Macht verdeutlicht. Und das Reich Gottes? Es ist im Kommen, aber in Verborgenheit. Doch es ereignet sich in unserem Alltag. Es beginnt da, „wo Menschen das von Gott gestiftete neue Miteinander leben“. Nicht zuletzt sind wir Teilnehmende an dem großen Drama der Verwandlung der Welt, das im Weinwunder zu Kana zeichenhaft Gestalt gewinnt.
Hilfreich ist eine Übersicht, in welcher der Ort der einzelnen Kapitel im Kirchenjahr angegeben ist, und ein Verzeichnis der Schriftstellen.