Seilbahnunglück in ItalienWenn das Vertrauen reißt

Das Seilbahnunglück am Monte Mottarone erschüttert. Wegen der Familientragödie, wegen der Opfer – und weil es zeigt, wie fragil das Netz des Vertrauens sein kann, in dem wir jeden Tag leben.

Wegen einer falsch gesetzten Klammer sind 14 Menschen tot. Das ist der aktuelle Stand der Ermittler im Fall der verunglückten Seilbahn am Monte Mottarone westlich des Lago Maggiore vor einer Woche. Die Klammer verhindert, dass die Notbremsen greifen, und darf eigentlich nur bei Wartungsarbeiten eingesetzt werden. Der Verdacht: Die Notbremsen wurden ganz bewusst abgeklemmt, damit es nicht zu Störungen kommt und möglichst viele Touristen auf den Gipfel gebracht werden können – sprich, möglichst viele Tickets verkauft werden.

Endlich wieder Schuldige?

Dass es zu einem echten Unfall kommen könnte, wurde dabei in Kauf genommen. So bremste nichts den Fall, als das Zugseil riss. Es wäre leicht, aus dem Drama eine kapitalismuskritische Moral abzuleiten. Wo es um Gewinnmaximierung geht, spielt das Leben der Mitmenschen plötzlich keine große Rolle mehr. Aber das wäre vielleicht zu einfach gedacht. Nicht der Kapitalismus hat die Klammer angebracht, nicht die Gesellschaft hat den Tod von 14 Touristen in Kauf genommen. Es waren Menschen, die diese Entscheidungen getroffen haben – und die jetzt dafür geradestehen müssen. Der Geschäftsführer des Betreiberunternehmens und der Betriebsleiter wurden zwischenzeitlich festgenommen, der Dienstleiter steht, Medienberichten zufolge, noch immer unter Hausarrest.

Dass es in diesem Fall so eindeutig Schuldige gibt, ist inzwischen fast ungewohnt. Nach einem Jahr Corona sind wir an Katastrophen gewohnt, für die es keine klaren Verantwortlichen gibt. „Wie können Menschen das zulassen?“, fragt man sich jetzt. Aber ist diese Frage wirklich leichter zu beantworten als die in den letzten Monaten allgegenwärtige Theodizeefrage, wie Gott so etwas zulassen kann?

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Zumal die Verantwortlichen, wenn sich der Verdacht erhärtet, ja nicht aus böser Absicht, sondern aus profitorientierter Gedankenlosigkeit mit dem Leben von anderen Menschen gespielt haben. Neben Schock und Wut bleibt so auch ein mulmiges Gefühl zurück: Die Opfer waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Es hätte jeden treffen können.

Damit wird jener Vertrauensvertrag angegriffen, auf dem unsere Gesellschaft aufgebaut ist. Jeder, der sich hinters Steuer setzt, in einen Fahrstuhl steigt oder auch nur etwas zu essen bestellt, tut das in der Gewissheit, dass unzählige andere Menschen ihre Arbeit gemacht, genau hingeschaut haben. Jeden Tag vertrauen wir ganz unbewusst darauf, dass die Kontrollen funktionieren. Dass wir den anderen nicht egal sind. Diese Kette des Vertrauens ist uns so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie uns erst wieder klar wird, wenn sie jemand mutwillig durchbricht. Erst in der Katastrophe merken wir, wie sehr unser Leben immer an anderen Menschen hängt.

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