Die Buchreligionen halten ihre Bücher und Traditionen heilig. Und das ist gut so. Doch zu ihrem Verstehen ist eine sorgsame Unterscheidung der Geister nötig, sowohl hüben als auch drüben, sonst ist ein Über-Setzen von einem Ufer zum anderen über die Zeiten und Kulturen hinweg nicht möglich. Denn was vor bald 2000 oder bisweilen fast schon 3000 Jahren niedergeschrieben wurde, ist heute nicht unbedingt in der gleichen Weise verstehbar wie damals...
Es kann religiös gesehen nie fertige, ewig gültige Antworten geben. Und wir können uns glücklich schätzen, dass Jesus selbst nichts aufgeschrieben hat. Nur an einer Stelle ist im Evangelium von seinem Schreiben die Rede: Er bückte sich und schrieb mit dem Finger in die Erde nieder (Joh 8,6.8, Jesus und die Ehebrecherin), was ... ein sinniges Bild für seine Botschaft insgesamt darstellt. Sie ist nie in Stein gemeißelt, sondern zwischen den Zeilen zu suchen, wo auch unser Geist einschwingen und die toten Sprachen und ihre Literatur zu neuem Leben erwecken kann.
Peter Trummer in: „Den Herzschlag Jesu erspüren. Seinen Glauben leben“ (Verlag Herder, Freiburg 2021)