Wer sich mit aktuellen Kirchenstatistiken beschäftigt, denkt schnell in historischen Kategorien: Die Ära des christlichen Abendlands scheint sich dem Ende zuzuneigen. Das englische Pew Research Center prognostiziert, dass die Anzahl der europäischen Christen bis 2050 um weitere knapp zehn Prozent sinken wird. Während Deutschland immer neue Rekordwerte bei den Austrittszahlen verzeichnet, haben andere ursprünglich sehr christlich geprägte Länder diese Entwicklung schon hinter sich. In den Niederlanden, Belgien oder Frankreich haben sich die Kirchenmitgliedszahlen auf einem niedrigen Niveau eingependelt. Gesellschaftlich spielt der Glaube keine große Rolle mehr. Und inzwischen greift dieser Trend auch auf „traditionell katholische Bastionen“ wie Italien oder Polen über, heißt es auf „katholisch.de“.
Das Gewicht verschiebt sich
Gleichzeitig wächst die Zahl der Christen in anderen Weltteilen in atemberaubendem Tempo. In einigen Regionen südlich der Sahara ist der Anteil der christlichen Gläubigen in den letzten hundert Jahren von zehn auf über 60 Prozent gestiegen. Daneben ist das Christentum auch in Südamerika und Teilen Asiens auf dem Vormarsch. Auch die katholische Kirche, die seit Jahrzehnten konstant zwischen 17 und 18 Prozent der Weltbevölkerung auf sich vereint, scheint global gesehen eher zu wachsen als zu schrumpfen. Nach aktuellen Schätzungen umfasst sie inzwischen mehr als 1,3 Milliarden Menschen.
Allerdings wird inzwischen immer deutlicher, dass diese Kirche der Zukunft nicht die gleiche sein wird wie heute. Der über Jahrhunderte fest europäisch verwurzelte Katholizismus wird spürbar internationaler. Anfang des 20. Jahrhunderts waren zwei Drittel der Kirchenmitglieder Europäer – heute sieht es ganz anders aus: Fast jeder zweite Katholik lebt inzwischen auf den amerikanischen Kontinenten. Auch andere Regionen dürften den europäischen Ländern bald den Rang ablaufen, was die Anzahl der katholischen Gläubigen angeht. Auf „katholisch.de“ heißt es, Europa „droht demnächst von Afrika überholt zu werden“.
Neue Formen, neue Fragen
Doch warum sollte diese Verschiebung eine Bedrohung sein? Eine weniger Europa-zentrierte Kirche ist auch eine Chance auf eine lang überfällige Neuausrichtung. Je mehr Kardinäle aus ärmeren, konfliktgeplagten Ländern an Schlüsselpositionen sitzen, desto klarer wird, dass Europa mit seinen oft so theoretisch-theologischen Debatten nicht der Nabel der katholischen Welt ist. Es brauchte einen südamerikanischen Papst, um die Gefahren des Klimawandels und der wirtschaftlichen Ausbeutung ins Zentrum der kirchlichen Wahrnehmung zu rücken. Was ist dann erst möglich, wenn die Mehrheit der Kirche aus global abgehängten Regionen stammt?