Mit den Rheinländern und den Westfalen ist das ja so eine Sache. Wirklich ernst ist die Lage zwar nicht, aber es gibt eben Unterschiede. „Der Westfale hält, was der Rheinländer verspricht“, wird die Gemengelage gern beschrieben. Das unverbrüchliche Klischee geht so: Dort der bedächtige Westfale, der sprichwörtlich zum Lachen in den Keller geht, da der jecke Rheinländer, die unverbindliche Frohnatur, die außerdem noch „kölsch-katholisch“ ist, es mit der Religion also nicht ganz so bierernst nimmt. Zum Narrativ über die ungleichen Rheinländer und Westfalen gehört auch, dass sie nach dem Krieg vor 75 Jahren von den Briten als deren „Kopfgeburt“ zwangsvereinigt wurden. Aus der preußischen Rheinprovinz und der Provinz Westfalen wurde Nordrhein-Westfalen. Zwei Jahre später stieß noch Lippe dazu. So weit der bisherige Gründungsmythos.
Bloß Idee einer fremden Macht?
Historiker haben im Archiv des Innenministeriums von NRW eine Karte aus dem Jahr 1922 gefunden, überschrieben mit „Rheinland-Westfalen“. „Ähnliche Entwürfe prägten Ende der 20er-Jahre die Debatten um eine ,Reichsreform‘ der Weimarer Republik“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Auch Industrielle wie Krupp, Thyssen und Klöckner hätten zu dieser Zeit über eine „rheinisch-westfälische Wirtschaftsprovinz“ sinniert. Die Zeitung zitiert Guido Hitze von der NRW-Landeszentrale für Politische Bildung, laut dem sein Bundesland also gedanklich „nicht 75, sondern 100 Jahre alt“ sei. Wird sich das Land zum Jubiläum also mit einem anderen Gründungsmythos feiern?
Zeit für unsere Geschichten
Ein guter Anlass, um nicht nur in NRW einmal der eigenen seelischen Heimat auf den Grund zu gehen: Was ist denn die große Erzählung hinter meinem christlichen Glauben? Habe ich überhaupt eine? Oder gebe ich mich vielleicht schon damit zufrieden, dass meine Eltern mich eben haben taufen lassen? Das ist zwar schön und tröstlich, aber als Christen in der Gegenwart sollten wir treffender Rede und Antwort stehen können über die Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15).
Allerdings ist christliche Religion eigentlich gar kein sagenhafter Mythos. Sie macht sich an der historischen Person Jesus Christus fest: Auch wenn wir hoffnungsvoll gen Himmel schauen, stehen wir mit beiden Beinen fest auf der Erde. Das muss trotzdem nicht heißen, dass wir uns mit lauter unverrückbaren Glaubenssätzen rüsten. Mit der Geschichtsschreibung ist es ja so, dass sie immer ein anfanghaftes Interpretieren bleibt, ein Ergänzen, Umschreiben und Korrigieren. Es ist eine Stärke unseres Glaubens, dass wir zwar unsere wechselnden Erzählungen haben, aber nicht den einen, womöglich klischeehaften Mythos. Unser Feld ist weit und breit, wir müssen es nur beackern, und das können Rheinländer und Westfalen gleich gut. Wenigstens im übertragenen Sinn.