Religion hat in jeder Lebensstufe eine eigene Bedeutung. In der Kindheit schenkt Religion eine Geborgenheit über die Geborgenheit hinaus, die die Eltern zu bieten haben. In der Jugend wird die Religion zur Herausforderung, an sich zu arbeiten und die Haltungen zu verwirklichen, die die Religion vertritt. Für Erwachsene hat die Religion die Aufgabe, das, was ich tue, zu relativieren, sodass ich nicht in der Arbeit und im Erfolg aufgehe…
Im Alter kann Religion wieder Geborgenheit bedeuten. Wie in der Kindheit ist es die Erfahrung eines Getragenseins von Gott, auch in Krankheit, Abhängigkeit und Hilflosigkeit. Religion – so C.G. Jung – war seit jeher die Schule, die uns lehrt, wie wir die zweite Lebenshälfte gut bewältigen können. Sie lehrt uns, das Irdische loszulassen und Haltungen wie Gelassenheit, Dankbarkeit, Frieden und Liebe zu lernen … Sie stärkt die Gewissheit, dass unser zeitlich begrenztes Leben mit dem Tod nicht völlig und endgültig aus ist, sondern uns die Erfüllung unserer Sehnsucht in einer unendlichen Liebe erwartet.
Anselm Grün in: „Gelassenheit. Das Glück des Älterwerdens“ (Verlag Herder, Freiburg, Neuausgabe 2021)