CHRIST IN DER GEGENWART: Reverend James Martin, mit „Building a Bridge“ wollten Sie einen Dialog zwischen homosexuellen Christen und der Kirche in Gang bringen. Wie waren die Reaktionen?
James Martin: Sicherlich wusste ich, dass Homosexualität ein kontroverses Thema in der Kirche ist. Aber bis ich mein Buch veröffentlicht habe, war mir nicht klar, wie umstritten es ist. Die Reaktionen, sowohl positiv als auch negativ, waren ziemlich intensiv und haben mich überrascht.
Wie sah das konkret aus?
Es reichte von Leuten, die in Tränen ausbrachen und mich bei Vorträgen umarmten, bis hin zu Leuten, die mich beschimpften, sowohl online als auch im realen Leben. Es war seltsam: Einige Leute sagten mir, dass das Buch sie zurück in die Kirche gebracht habe, während gleichzeitig Auftritte von mir abgesagt wurden. Dann kamen die Filmemacher und fragten, ob sie mich zu Vorträgen und Gesprächen begleiten könnten. Ich denke, sie haben mit der Dokumentation einen großartigen Job gemacht, viele verschiedene Stimmen zu zeigen – nicht nur meine.
Um gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen zu argumentieren, werden oft Bibelstellen herangezogen, zum Beispiel aus dem Römerbrief: „Männer treiben mit Männern Unzucht und erhalten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung“ (1,27).
Wenn jemand mit solchen Argumenten kommt, erinnere ich daran, dass es viele Dinge gibt, die die Bibel lobt oder verbietet, die wir heute ganz anders sehen. Genauso gibt es Gesetze und Regeln, die wir anders sehen. Sollen wir Ehebrecher immer noch steinigen? Das steht in der Bibel. Oder jemanden wegen Gotteslästerung hinrichten? Auch das steht in der Bibel. Halten wir die Erhebung von Zinsen für eine Sünde? All diese Gesetze werden heute im Kontext ihrer Zeit gesehen, und das ist auch richtig so.
Nur beim Thema Homosexualität soll es eine Ausnahme geben?
Genau, wenn es um Homosexualität geht, zählt für solche Leute plötzlich jeder Buchstabe. Dabei handelt die christliche Lehre im Kern von Akzeptanz. Was ist die Botschaft Jesu anderes als eine Botschaft des Willkommens und der Inklusion für alle Menschen? Für Jesus gibt es kein „wir“ und „sie“. Es gibt nur „uns“.
Einige Experten gehen davon aus, dass ein Drittel aller Geistlichen in der katholischen Kirche selbst homosexuelle Tendenzen hat. Könnte der starke Widerstand auch damit etwas zu tun haben?
Es ist schwer zu sagen, woher der Widerstand in der Kirche kommt. Er könnte tatsächlich von Klerikern kommen, die homosexuell sind – und damit meine ich homosexuelle Priester, die ihr Zölibatsversprechen leben –, die vielleicht im Konflikt mit ihrer eigenen Sexualität stehen. Oder es kann von heterosexuellen Geistlichen kommen, die einfach eine Abneigung gegen sexuelle Minderheiten haben, oder die gleichgeschlechtliche Beziehungen ablehnen. Aber was auch immer die Ursachen sind: Der Hass in der Kirche ist für mich erstaunlich. Das geht über bloße Ablehnung hinaus. Auch deswegen ist der Film wichtig. Homosexuelle Katholiken werden oft in Schubladen gesteckt, „Building a Bridge“ stellt sie als Menschen dar – und als Katholiken.
In Deutschland war die Segnung homosexueller Paare in diesem Jahr ein großes Thema. Einige Pfarrer haben gleichgeschlechtliche Paare gesegnet und sich damit direkt gegen ein Schreiben des Vatikan gestellt. Wie sehen Sie solche Aktionen?
Wenn der Vatikan die Segnung von gleichgeschlechtlichen Ehen durch Priester verbietet, dann würde ich es als Priester nicht tun. Die Frage ist: Gibt es andere Wege, seinen Respekt für die Verpflichtung auszudrücken, die diese Paare eingegangen sind? Ich kenne viele gleichgeschlechtliche Paare, die jahrelang füreinander gesorgt haben, oft in Krankheit, manchmal sogar bis zum Tod. Ist das nicht eine liebevolle Verpflichtung?
Kann die Regenbogenflagge vor der Kirche so ein Weg sein?
Daran sehe ich überhaupt nichts Falsches. Es ist ein Zeichen der Unterstützung für eine Gemeinschaft, die lange Zeit verfolgt und ausgegrenzt wurde – oft auch von der Kirche.
Viele werfen Papst Franziskus vor, bei dem Thema gemischte Signale zu senden. Auf der einen Seite betont er, dass auch Homosexuelle akzeptiert und geliebt werden sollen – auf der anderen Seite hält er an der offiziellen Linie seiner Vorgänger fest, wie etwa beim Verbot von Segnungen.
Die Position des Heiligen Vaters scheint mir klar zu sein. Er hat die Lehre zu diesem Thema nicht geändert, aber er hat das Gespräch, den Ansatz und den Ton geändert. Denken Sie daran, dass Papst Franziskus der erste Papst ist, der jemals das Wort „schwul“ (gay) in der Öffentlichkeit benutzt hat. Sein vielleicht berühmtester Satz ist „Wer bin ich, um zu urteilen?“ Er hat homosexuelle Freunde. Er hat mir kürzlich einen Brief zur Unterstützung meines eigenen Dienstes geschickt, den ich öffentlich geteilt habe. Er hat das Herz eines Hirten. Und diese Herangehensweise macht einen Unterschied. Viele Homosexuelle sagen mir, dass sie sich durch Papst Franziskus willkommener fühlen, auch wenn sich die kirchliche Lehre nicht geändert hat.
Was sind Ihre Hoffnungen für die Kirche der Zukunft – sagen wir in zehn Jahren? Werden wir dann immer noch die gleichen Debatten führen?
Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass sexuelle Minderheiten sich in der Kirche genauso willkommen fühlen wie alle anderen, und dass man sie nicht nur als Mitglieder, sondern auch als Leitungspersonal der Kirche sieht. Und ich hoffe natürlich, dass das keine zehn Jahre dauert.
James Martin SJ:
James Martin, geboren 1960 in Pennsylvania, Vereinigte Staaten von Amerika, ist Jesuit, Priester und Autor. Er schreibt etwa für das Jesuiten-Magazin „America“. Auch im Fernsehen tritt er regelmäßig auf, unter anderem bei CNN und „Fox News“. Durch seine offene, vermittelnde Haltung gegenüber Homosexuellen hat er sich in seiner Heimat viele Feinde gemacht. Das Nachrichtenportal „Life Site News“ forderte vor einem halben Jahr seine kirchliche Verurteilung wegen „Blasphemie“. Der Vorwurf: Er habe eine Darstellung von Maria mit dem Jesuskind unter den Regenbogenfarben auf Twitter verbreitet und gutgeheißen. Eine entsprechende Petition fand tausende Unterstützer. red