PriesterkleidungMachen Kleider Priester?

Oft ist es nur ein weißer Stehkragen in Kombination mit einem schwarzen Anzug, manchmal sogar die knöchellange Soutane. Klerikerkleidung kann provozieren. Warum ist das so?

Eigentlich war es nur eine Randnotiz. In dem kleinen Kommentar „Unwichtig, unsichtbar?“ (CIG Nr. 31) haben wir eine spontane Beobachtung unserer Redaktion mit Ihnen, den Leserinnen und Lesern, geteilt: Priesterkleidung in der katholischen Kirche, das ist ein heikles Thema. Ob die priesterliche Alltagskleidung oder die liturgischen Gewänder im Gottesdienst, jedes Stück Stoff scheint dermaßen mit Bedeutung aufgeladen zu sein, dass es das Zeug zum Politikum hat. Es haben sich offensichtlich sogar unterschiedliche Fraktionen dazu gebildet – mit ganz eigenen Sichtweisen auf die Kleidung von Geistlichen.

Selten haben wir in letzter Zeit im Internet so viele Kommentare und Likes bekommen wie zu diesem kleinen Artikel. Es gibt Redebedarf. Deswegen haben wir uns dazu entschlossen, uns mit dem Thema der Priesterkleidung intensiver zu beschäftigen.

Denn ist es nicht wirklich so, dass Priesterkleidung provoziert, auf viele vor allem abgehoben, elitär wirkt? „Ein Priester muss weder ständig in Schwarz gekleidet sein noch durch die Kalkleiste eine Sonderstellung demonstrieren“, schrieb ein Leser auf www.cig.de – und erhielt Zustimmung. Der Begriff „Kalkleiste“ bezeichnet flapsig den weißen rundum geschlossenen Stehkragen, den einige Priester tragen. Das Ganze lässt an die Don-Camillo-Filme denken, in denen der Kleriker mit langer Soutane und Priester-Hut stets höflich gegrüßt und respektiert, ja privilegiert wird. Durch seine Kleidung nimmt man ihn als „Mann Gottes“ wahr, gewissermaßen der profanen Sphäre entrückt.

Geht es nach unserem Leser, würde als Erkennungszeichen für Priester schon ein kleines Kreuz am Revers des Sakkos reichen, „besonders für den Bedarfsfall in der mitmenschlichen Begegnung“. Priesterkleidung solle zeigen, dass ihr Träger als Geistlicher zur Verfügung steht, ohne einen allzu sehr herauszufordern. „Das eine macht sympathisch und schafft Nähe – das andere stößt ab und entfremdet.“

Ein weißer Kragen, ein schwarzer Anzug – stößt das wirklich ab, entfremdet das? Christian Stadtmüller empfindet das nicht so. Der 42-Jährige ist Priester im Bistum Würzburg und trägt fast immer ein Priesterhemd. Einen ganz bestimmten Vorwurf lässt er aber nicht gelten. Auf Facebook schrieb er uns: „Ich bin schon oft genug beschimpft und bespuckt worden. Wenn hier von ,elitär‘ die Rede ist, kann ich nur kontern: Ihr habt doch keine Ahnung.“ Viele pflichteten ihm online bei. Auf Nachfrage bekräftigt er seine Ansicht. „Im Stadtgetümmel bin ich schon mit Wörtern beleidigt worden, die mich mit Missbrauchstätern in eine Reihe stellen.“ Andere haben ihm einmal vor die Füße gespuckt. Bei einem Besuch in Berlin war Stadtmüller vor solchen Attacken sicher. „Da juckt es keinen, wie man rumläuft. Oft werde ich dort gar nicht als katholischer Geistlicher erkannt.“ Einige fragen, ob er „echt“ sei.

Aber es gibt diese Situationen, die ihn ganz erfüllen, etwa wenn er am Flughafen spontan eine Beichte zu hören bekommt oder er beim Religionsunterricht schnell in tiefe Gespräche gerät, wenn seine Schüler fragen, was seine auffallende Kleidung bedeute. „Das ist so ähnlich wie beim Ehering von deinem Papa. Damit will ich zeigen, dass ich mein Leben Gott und der Kirche als Priester zu Verfügung stelle“, sagt Christian Stadtmüller dann. Kleidung als Bekenntnis, mehr noch: als Zeichen für die Berufung. Beinahe sakramental klingt das.

Dabei sind wir doch alle von Gott berufen, durch die Taufe hineingenommen in das Leben und Sterben seines Sohnes – ins ewige Leben. Muss man für diese geistige Wirklichkeit tatsächlich mit vergänglichen Zeichen ausgerüstet sein, gar mit einem Stück schwarzen Stoffes und einem weißen Kragen? Sicher nicht.

Vielleicht hilft ein Blick auf die Liturgie weiter. Christlicher Gottesdienst ist ja kein rein geistiges, sondern auch ein physisches Geschehen. Wir beten mit unserem Körper, durch Gesten und Gebetshaltungen, zum Beispiel durch das Knien und das Falten der Hände. Der Kern des christlichen Mysteriums, die Wandlung aus dem Tod ins Leben, feiern wir mit den Gaben von Brot und Wein. So ist es auch naheliegend, dass es Kleidung eigens für den Gottesdienst gibt, um den Leib sichtbar hineinzunehmen in das rituelle Geschehen. Zwar stimmt es, dass „jeder Mensch in jeder Situation vor Gott treten darf, ohne sich besonders vorbereiten oder gar verkleiden zu müssen“, schreibt der Innsbrucker Theologe Liborius Lumma in seinem „Crashkurs Liturgie“. Doch sei liturgische Kleidung „mehr als nur überflüssiges Beiwerk“. Lumma empfiehlt einen Blick auf die Albe: „In ihr drückt sich das in der biblischen Botschaft wurzelnde christliche Selbstverständnis aus“. Sie ist das Gewand, das wir schon zu Beginn des christlichen Lebens bei der Taufe tragen. Dahinter steht der Gedanke aus der Offenbarung des Johannes über das Ende der Zeit, wenn die ganze Schöpfung feierlich vor Gott an ihr Ziel gelangt. Da geht es um eine „große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen vor dem Thron …, gekleidet in weiße Gewänder“ (Offb 7,9). Die Albe, von lateinisch albus – weiß, nennt Lumma das „Gewand aller Christen“.

In den Briefen des Neuen Testaments gibt es die Metapher vom Glauben als „Anziehen des neuen Menschen“ (Eph 4,24) und dem „mit Christus Bekleidetsein“ (Gal 3,27). Lumma resümiert deshalb: „Wenn in der Liturgie besondere Gewänder Verwendung finden, dann hat dies … vor allem eine theologische Bedeutung: Der Mensch, der im Glauben Gott gegenübertritt, ist durch den Glauben gewissermaßen neu bekleidet.“ Gerade die weiße Albe kann man also gut biblisch als leibhaftes Glaubensbekenntnis deuten – für eine christliche Existenz, von Sünden reingewaschen in der Taufe und strebend zum himmlischen Jerusalem.

Andererseits hat sich gerade bei Geweihten in der katholischen Kirche im Lauf der Jahrhunderte eine viel weitergehendere Tradition liturgischer Bekleidung entwickelt. Man denke nur an die sogenannten Paramente, darunter Messgewänder, mehr oder weniger aufwendig gestaltet, oder die Mitra als Kopfbedeckung der Bischöfe. Zusammen mit der Stola, einer Art Schal, und Weiterem drücken sie als Insignien die Amtsgewalt und Leitungsmacht ihrer Träger aus. Es gibt also immer auch eine textile Botschaft: Ich bin anders als ihr. Ich habe eine besondere Aufgabe in der Kirche.

Je mehr Wert ein Geistlicher auf reich verzierte Brokat-Gewänder oder einen möglichst hohen Priesterkragen legt, desto klarer grenzt er sich – scheinbar – von den „normalen“ Gläubigen ab.

Womöglich liegt hier der Grund, warum die priesterliche Kleidung, ob im Gottesdienst oder im Alltag, immer wieder zum Ziel unterschiedlichster Projektionen wird. Denn je mehr Wert ein Geistlicher etwa auf fein verzierte Brokat-Gewänder oder einen möglichst hohen Priesterkragen legt, desto entschiedener grenzt er sich – scheinbar – von den „normalen“ Gläubigen ab und geht ganz in seinem Amt auf. Nimmt man noch dazu, dass in der katholischen Kirche seit Jahrzehnten eine aufgeregte Debatte über die Rolle der Geweihten tobt, aktuell beim Synodalen Weg, verwundert es nicht, dass Priester durch ihre Kleidung zugleich ein kirchenpolitisches Statement setzen. Wahrscheinlich kann man dem als Geistlicher gar nicht entgehen: Wer bewusst ein offenes Hemd trägt, signalisiert damit etwas anderes als einer, der immer in knöchellanger Soutane anzutreffen ist. Besonders hervorgehobene Priesterkleidung kann somit auch ein Symptom des Klerikalismus sein.

Je stärker die Kirche in Bedrängnis gerät und nicht ihre Positionen zu aktuellen Themen wie unter anderem die Rolle der Frau und den Pflichtzölibat klärt, umso massiver stellt sich die Frage nach der besonderen Rolle der Priester. Alle Zeichen der Priesterkleidung machen tendenziell einen Klerikalismus sichtbar und verschärfen anscheinend den Gegensatz zwischen den Geweihten und jenen, die in diesen Stand nicht aufgenommen werden sollen oder dürfen. Und jene Geistlichen, die auf die Priesterkleidung verzichten, wollen dem Klerikalismus oft keinen Vorschub leisten, indem sie sagen: Ich sehe so aus wie ihr, ich bin wie ihr, ich bin nicht anders.

Andererseits läuft das jedem Markengedanken zuwider. Anhängerschaft und Loyalität brauchen Zeichen der Unterscheidung. Und Priester sind ja nun mal anders. Ohne sie gibt es keine sakramental verfasste Kirche. Wollte man der Abneigung gegenüber allzu auffälliger Priesterkleidung etwas entgegensetzen und sie mit dem Bedürfnis nach klarer Erkennbarkeit der Geistlichen versöhnen, müsste man das Amt wohl für alle Christinnen und Christen öffnen, die eine entsprechende Berufung spüren, diese prüfen und ihr ernsthaft folgen wollen.

Jüngere Geistliche legen Wert darauf, als Amtsträger erkennbar zu sein. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass sie in ihrer Berufswahl stark hinterfragt werden.

Gerade jüngere Geistliche legen in dieser kirchlichen Umbruchzeit eher einen gesteigerten Wert darauf, als Amtsträger erkennbar zu sein, berichtet Thomas Schmitt aus Köln. Seit den Neunzigerjahren verkauft er als Inhaber von „schmitt-paramente/Polykarp Reuss“ Gewänder und Kleidung für den Kirchenbedarf. Seine Beobachtung hängt wohl auch damit zusammen, dass junge Kleriker in ihrer Berufswahl in der Familie und im Freundeskreis stark hinterfragt werden und dann als Geistliche umso selbstbewusster auftreten sowie ihr kirchliches Amt und konservatives Kirchenbild betonen wollen.

Die kürzeste Bestimmung von Religion sah der vor zwei Jahren verstorbene Münsteraner Theologe Johann Baptist Metz übrigens in der „Unterbrechung“. Unser Herausgeber Johannes Röser schrieb in diesem Kontext einmal: „In einer religionsfreien, zumindest religionsdistanzierten öffentlichen Kultur sorgen Unterbrechungen der verschiedensten Art dafür, aus der Routine des Alltagsbetriebs auszubrechen.“ So betrachtet kann die Priesterkleidung auch ein Weckruf sein, ein Verweis auf Gott. Wer seinen Kollar in dieser Haltung trägt, kann eigentlich nur noch – im besten Sinne – demütig werden.


Zum ursprünglichen Kommentar Unwichtig, unsichtbar? (CIG Nr. 31)

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